Eifel: Die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel setzen viele Emotionen frei. Befreundete Gastautoren haben sich mit der Thematik beschäftigt. Aber lesen Sie selbst…
Hoch oben im Venn gibt es ein einsames Moorgebiet, in das sich schon seit Jahren kein Mensch mehr gewagt hat. Man spricht in den umliegenden Dörfern in Belgien und Deutschland nur flüsternd über die Domäne, die irgendwo zwischen dem geheimnisvollen, verschwundenen Dorf „Plènesses“ und der Ruine der niedergebrannten „La Cabane“ liegen soll. Kein Mensch würde dort freiwillig seinen Fuß hinsetzen, denn dort – so schwören Einheimische – lebt tief unten im Moor die „Wilde Jagd“, jene geheimnisvolle Erscheinung, die vor über hundert Jahren in den „Rauen Nächten“ zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag am nächtlichen Eifelhimmel unterwegs gewesen sein soll. In den wallonischen Dörfern soll man damals erschrocken „Mesnie Hellequin, chasse sauvage“ ausgerufen haben, während man in den deutschsprachigen Dörfern noch nicht einmal den Namen der unheimlichen Erscheinung in den Mund nehmen wollte: „Die sind wieder unterwegs.“
Doch wer waren die? Überall auf der Welt gibt es Gebiete, in denen die Sippschaft der „Wilden Jagd“ schreiend, begleitet von Jaulen, Miauen, Grunzen und Wiehern am Nachthimmel erscheint. Ausnahmslos erzählt man sich andere Geschichten, im Norden Europas soll Odin der Anführer sein, andere glauben an Zwerge und Riesen mit einem Geisterzug. Auch am Venn redet man von diesem Phänomen, wie mir ein Venn-Läufer in der winterlichen Gaststube von „Baraque Michel“ erzählte:
Ein adliger Herr aus Lüttich, dessen Namen keiner aussprechen will, ließ sich vor vielen, vielen Jahren unweit von Xhoffraix eine Jagdhütte erbauen, in die er die wildesten Burschen der Eifel und die degenerierten Grünschnäbel seiner adeligen Herkunft zur Jagd mit anschließendem Gelage einlud. Diese Bagage jagte aber nicht nur, sondern quälte die Tiere und misshandelte aus den umliegenden Dörfern die Mädchen und Frauen, die unter falschen Beteuerungen in das Jagdhaus gelockt wurden. Die Dorfbewohner zwischen Ovifat, Sourbroudt, Kalterherberg, Longfaye und Hockay sprachen schon bald von „Der wilden Jagd“, wenn sie von den Sauf- und Raufbrüdern sprachen. So manches Kind hieß „Ein Balg der Wilden Jagd“.
Das Treiben missfiel aber nicht nur den Einheimischen, sondern auch dem Mönch Léon aus Stavelot, der sich im Freneu-Venn eine Holzhütte errichtet hatte, um in der Stille der einsamen Moorlandschaft – wie viele Jahre später der legendäre Négus – zu leben. Lärmend, ballernd und auch noch schlecht schießend zog die wilde Jagd an der Hütte des Klausners vorbei, nie grüßend, aber immer spottend. Als wieder einmal ein Hirsch wund geschossen wurde, kniete Léon vor seinem winzigen Altar nieder…
Die Jagdgesellschaft befand sich an jenem milden Dezembertag am frühen Nachmittag unweit von Jalhay, als – im wahrsten Sinne des Wortes – aus heiterem Himmel ein starkes Schneetreiben begann. Die Fügung – oder was auch immer – wollte es, dass plötzlich alle Pferde scheuten, ihre Reiter abwarfen und mit den Jagdhunden davonstoben. Alle Tiere wurde in den nächsten Stunden unversehrt in Charneux und Solwaster eingefangen, die Jäger aber bleiben im dichten Schneetreiben zurück und erfroren jämmerlich.
Kein Mensch hatte nach ihnen gesucht – warum auch: Der plötzliche Schneefall und Temperatursturz war nur über den Jägern niedergegangen. Als man Tage später ihre Leichen fand, entstanden schon bald die ersten Gerüchte und Legenden. Die Jäger, so erzählte man sich, dürften ob ihrer bösen Taten niemals in die Ewigkeit eingehen und müssen zur Strafe für ihre Freveltaten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest vom Teufel getrieben am nächtlichen Himmel erscheinen, um neidvoll auf das weihnachtliche Glück der Menschen zu schauen.
Doch es gab noch einen Einsiedler im Venn: Joseph, den man in den Eifeldörfern auch den Seher nannte, weil er Wanderern immer die tollkühnsten Geschichten erzählte. Der orakelte, dass die bestraften Jäger in Wirklichkeit zu strafenden Reitern mutiert seien, die Unheil über die Menschen am Venn bringen sollten. Seine Erzählungen gipfelten in der Vision, dass man zwischen den heiligen Tagen keine Wäsche aufhängen dürfte, da die Wilde Jagd diese von den Leinen reißen und im nächsten Jahr als Leichentuch zurückbringen würde.
Einige mutige Männer aus den umliegenden Venn-Dörfern machten sich daher auf den Weg, um unweit der Gemarkung, die heute „Belle Croix“ heißt, eine riesige Erdhöhle zu graben. Am 27. Dezember des Jahres 1887 spannten sie vor den Höhleneingang eine Wäscheleine mit weißen Tüchern. Und tatsächlich! Kurz vor der Dämmerung erfüllte ein Stöhnen, Kettenrasseln und Jaulen den Himmel und es näherte sich eine Sturm- und Nebelwolke, in der die Männer Silhouetten von bösartig aussehenden Jägern erkannt haben wollen. Der Sturm riss die Tücher von den Leinen und wehte sie samt der Nebelwolke in die Erdhöhle. Schnell sprangen die Burschen aus ihrem Versteck und verschütteten den Eingang zur Höhle für immer.
Schon bald sprach keiner mehr von der Wilden Jagd – die Geschehnisse gerieten in Vergessenheit.
Erst Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts tauchte die Geschichte – flüsternd erzählt – wieder auf. Damals errichtete man genau an der Stelle, unter der sich die Höhle befand, mitten in der Venn-Landschaft das Dorf Plènesses mit geplanten zwanzig Bauernhöfen, aus denen dann schließlich nur fünf Anwesen wurden. Doch auch diese wurde 1990 dem Erdboden gleich gemacht. Aus Umweltschutzgründen, sagte man.
Der Erzähler aus der „Baraque Michel“ weiß aber eine andere Version: Ein Bauer, der Plènesses aus Angst verlassen hatte, habe ihm von Jammern und Heulen berichtet, das man zur Weihnachtszeit tief aus dem Inneren des Hohen Venns gehört habe.
Heute weiden in dem eingezäunten, von Videokameras überwachten Venngebiet nur noch Schafe …
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