Roetgen: Der mittlerweile 80-jährige Richard Reinartz hat schon viele Weihnachtsfeste gefeiert, doch der Heiligabend 1968 ist ihm unvergesslich in Erinnerung geblieben: Als gelernter Bäcker und Konditor war Richard Reinartz früher gerade zur Weihnachtszeit im Dauereinsatz, um – neben dem täglichen Brot – auch Printen, Spekulatius, Makronen, Weckmänner und Weihnachtsstollen zu backen. Ende der 60er Jahre herrschten in der Eifel schneereiche Winter. Der eisige Wind sorgte damals überall für „Wietzele“, wie man in Roetgen die Schneewehen nennt, und machten viele Straßen unpassierbar. Und da es zu der Zeit noch üblich war, die bestellten Backwaren an die Kunden auszuliefern, konnte sich der zweifache Vater in diesem Jahr nicht persönlich um die Auswahl eines Weihnachtsbaumes kümmern.
Heiligabend hatten meine Frau und ich viele Weihnachtskuchenbestellungen angenommen. Es wurden Rehrücken, Reis- und Obstfläden, Buttercreme- und Sahnetorten gewünscht. Diese Kuchen wurden im Laufe des Vormittags hergestellt und an die Kunden ausgeliefert. Ich hatte daher für die Besorgung eines Weihnachtsbaumes überhaupt keine Zeit und bat unseren damaligen Gemeindeförster, einen Weihnachtsbaum, circa 150 Zentimeter groß, zu besorgen.
Doch als der Roetgener Bäckermeister nach Dienstende in der Backstube seinen Weihnachtsbaum abholen wollte, traf er die Frau des Försters an, die aber nichts von seiner „Bestellung“ wusste.
Ich war daher über unseren vergesslichen Förster sehr sauer, zumal unsere Kinder, fünf und sieben Jahre alt, und meine Frau auf den Baum warteten. Nachdem ich ohne Weihnachtsbaum nach Hause gekommen war, sank die Stimmung auf den Nullpunkt und ich konnte mir entsprechende Vorwürfe anhören. Mittlerweile war es schon dunkel. Da kam mir eine Idee: Ich erklärte den Kindern, dass wir in diesem Jahr einen Tannenbaum selber besorgen müssten. Schnell wurde der Schlitten herausgeholt.
Die damals siebenjährige Tochter Claudia blieb bei der Mutter und half beim Tischdecken und Schmücken des Wohnzimmers. Der fünfjährige Peter fuhr mit, um einen Christbaum zu schlägern. Dick eingemummelt beleuchtete er vom Schlitten aus den Weg in den Wald und sorgte dafür, dass Beil und Säge nicht vom Schlitten purzelten.
So zog ich denn mit dem Schlitten samt Peter und Werkzeug los. Bei dieser Schlittenfahrt erzählte ich Peter, dass die meisten Papas für ihre Familien einen Christbaum aus dem Gemeindewald ‚besorgen gingen‘.
Der Weg zum Wald wurde für Vater und Sohn mehr als mühsam.
Hier war kein Schnee geräumt und kein Schneepflug hatte sich bis dorthin vorgewagt. Etwa 150 Meter links der Kreuzung wusste ich von einem netten Tannenbaum, an den ich mich erinnerte; bei einem Spaziergang im Sommer hatte ich ihn gesehen und im Geiste schon mal ‚ausgewählt‘. Wir fanden den netten Baum wieder. Er hatte sich am Wegesrand selber ausgepflanzt. Auch Peter war von diesem schön gewachsenen Baum, unserem zukünftigen Weihnachtsbaum, begeistert. Wir machten uns also an die Arbeit. Zunächst schüttelten wir kräftig den Schnee von dem Bäumchen ab. Mit dem Beil entfernten wir die unteren Äste der Fichte. Nachdem der Baum nun unten von seinen Zweigen befreit war, trat die Säge in Aktion; sie trennte den Baum von seinem Stamm. Während der Arbeiten bediente Peter die Lampe und leuchtete den Arbeitsplatz aus. Hin und wieder lauschten wir, ob nicht jemand wegen des Lärms, den wir machten, auf uns aufmerksam geworden war und uns bei der Arbeit stören könnte. Aber es blieb alles still; es war ja Heiligabend. Peter setzte sich nach getaner Arbeit auf den Schlitten, der am Ende der Sitzbank eine kleine Lehne hatte. Danach wurde die Fichte an Peters Füße gelegt, festgebunden und das Werkzeug verstaut. Jetzt traten wir den Heimweg an.
Eigentlich musste man schon früher den Tannenbaum bei der Gemeindeverwaltung kaufen, erzählt Reinartz weiter, was damals aber kaum jemand tat.
Es war natürlich verboten, selbst einen Tannenbaum zu schlagen. Das verstand mein Peter, und er verhielt sich still und brav, sonst könnte unsere Aktion dem Förster oder einem Zollbeamten, die zu dieser Zeit auf Patrouille waren, auffallen, und das bedeutete Ärger und die ganzen Bemühungen um einen Christbaum wären umsonst.
Zuhause wurde der in letzter Minute „besorgte“ Weihnachtsbaum zurechtgeschnitten und von der Familie geschmückt. Dabei schilderten Vater und Sohn ihr Weihnachtsbaum-Abenteuer im dunklen, tief verschneiten Winterwald.
Nach all der Tagesmühe musste ich mir erst einige Schnäpse genehmigen. Bei all dieser Aufregung um den Weihnachtsbaum fand ich aber bald wieder zu meiner Ruhe. Sigrid rief zum Abendessen. Sie hatte während unserer Abwesenheit ihren bekannten und bis heute beliebten Kartoffelsalat zubereitet. Dazu gab es Wilms‘sche Brühwürste und Bier. Nach dem Essen fand die Bescherung statt. Dabei gab es Punsch für die Großen und Saft für die beiden Kinder. So konnte der Heiligabend doch noch zu einem guten Ende kommen.
Unvergesslich auch das Ende dieser Geschichte. Da räumt Richard Reinartz verschmitzt ein, dass er vor fast 50 Jahren die ursprünglich als Dankeschön für den Förster vorgesehene Kiste Zigarren selber leer geraucht habe…
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