Kreise, Kreis Euskirchen: „Ja, der Druck ist gewaltig, das will ich gar nicht bestreiten.“ Karl-Josef Laumann fand deutliche Worte: „Die Arbeitsbedingungen für die Pflegefachkräfte sind alles andere als einfach“, sagte der CDU-Politiker, der auch Bevollmächtigter für Pflege ist. Er war der Hauptredner bei der Veranstaltung „Pflege zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ im Kulturkino Vogelsang, zu der die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) und die Kreisverwaltung Euskirchen eingeladen hatten. Rund 200 Interessenten – überwiegend Pflegefachkräfte – machten deutlich: So kann und darf es nicht weitergehen!
Zunächst einmal ist es ja eine frohe Botschaft: Die Lebenserwartung steigt weiter, wir werden immer älter. Mit Beginn der Rente starten viele Menschen noch einmal richtig durch und genießen als „Silver Ager“ die Freizeit. Doch für viele ist der letzte Lebensabschnitt mitunter kein Vergnügen mehr. „Die Zahl der Ü75-Jährigen ist in den letzten Jahren von 16.000 auf 19.000 geklettert“, sagt Manfred Poth, Allgemeiner Vertreter des Landrats. Und im hohen Alter steigt eben auch die Pflegebedürftigkeit.
Im Kreis Euskirchen gibt es dementsprechend jetzt schon eine sehr vielfältig aufgestellte „Pflege-Landschaft“ – mit 32 stationären, elf teilstationären und 37 ambulanten Einrichtungen. Derzeit gibt es ausreichend Plätze, bei rund 300 „leeren Betten“ habe bereits ein Verdrängungswettbewerb eingesetzt, so Poth. „Aber wenn die demografische Entwicklung so weitergeht wie bisher, dann fehlen uns im Jahr 2040 rund 1.700 Pflegebetten!“ Der Bau reiner „Bettenburgen“ könne aber keine Alternative sein, stattdessen müsse man sich im Rahmen der Kreisentwicklungsplanung Gedanken über andere Wohnformen im Alter machen.
Soweit der Blick auf die großen Herausforderungen der Zukunft. Allerdings liefert auch die Gegenwart keinen Anlass, um sich entspannt zurückzulehnen. „Der Druck und die Not der Pflegefachkräfte wird immer größer“, betont der PSAG-Vorsitzende Friedrich Neitscher. „Der große Aufschrei fehlt zwar noch, aber so wie bisher kann es nicht mehr weitergehen“, ergänzt Dorothee Esser, Leiterin einer Seniorenhausgemeinschaft in Blankenheim. Walter Steinberger von der Geschäftsführung der Diakonie Euskirchen: „Es wird immer schwieriger, die Patienten zu betreuen. Die Pflegefachkräfte haben immer weniger Zeit für den einzelnen Menschen.“ Für den Arbeitswissenschaftler Dr. Paul Fuchs-Frohnhofen steht fest: „Gute Pflege der alten Menschen setzt gute Arbeitsbedingungen für die Pflegefachkräfte voraus.“ Ähnlich äußerte sich Margot Ackermann. Als Leiterin eines Fachseminars für Altenpflege befürchtet sie, dass zunehmend mehr junge Menschen die Ausbildung abbrechen bzw. aus dem Beruf aussteigen. „Der Spagat zwischen Anspruch und Umsetzung wird immer größer.“
Michael Treutler stellt die Pflegesituation aus der Sicht eines pflegenden Angehörigen dar. Der pensionierte Bundeswehrsoldat pflegt seit fünf Jahren seine Frau, und zwar rund um die Uhr. „Die sozialen Kontakte gehen dadurch verloren, spontane Entscheidungen sind nicht mehr möglich“, beschrieb Treutler seine Situation, die nach und nach zur Vereinsamung führe.
Franz-Josef Laumann hört diese Klagen nicht zum ersten Mal. Der CDU-Sozialpolitiker kennt die Vorgeschichte, Entstehung und Weiterentwicklung der Pflegeversicherung aus erster Hand. Und er weiß, dass die Pflegefachkräfte einen für die Gesellschaft eminent wichtigen, aber auch ebenso schwierigen Job ausüben. „Ein schlechtes Arbeitsklima überträgt sich auch auf die Pflege“, appellierte er an die Pflegedienste, im Rahmen ihrer Möglichkeiten für mehr Motivation zu sorgen. Dazu leiste auch die Politik einen Beitrag, indem sie etwa ab 2017 für die Betreuung von Demenzkranken drei Milliarden Euro zusätzlich „ins System“ gebe.
Um ihren berechtigten Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen mehr Gehör zu verschaffen, empfahl er den Pflegefachkräften, sich besser zu organisieren. „Andere Berufsgruppen treten in der öffentlichen Wahrnehmung mit viel mehr Nachdruck auf“, so Laumann, der aber letztlich auch ein Plädoyer für die häusliche Pflege gab: „Wir brauchen die professionelle Strukturen der Pflegedienste ebenso wie die Betreuung in den Familien.“ Bei aller kontroversen Diskussion: Einig waren sich am Ende alle in einem Punkt: Pflege ist mehr als nur ein Job. Hier geht es um Menschen, die andere Menschen pflegen. Und das verdient große Anerkennung und hohen Respekt.
Die PSAG nutzte die Veranstaltung, um die „Euskirchener Erklärung“ zu verabschieden. Damit soll „auf die zunehmende Not der Pflegenden und Pflegebedürftigen“ hingewiesen werden. Darin werden u.a. der Fachkräftemangel und der überholte Personalschlüssel beklagt: „So kann und darf es nicht weitergehen: Nur wenn die Pflegenden mit Würde behandelt werden, werden auch die zu Pflegenden ihre Würde behalten.“
Wer sich mit der „Euskirchener Erklärung“ solidarisch erklären möchte, kann dies im Internet tun: Euskirchener Erklärung. Unterschriftenlisten liegen auch in vielen Pflegeeinrichtungen aus.
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