Eifel: Vor 33 Jahren – anlässlich des 25. Todestages von Rudolf Caracciola – schrieb ich 1984 dieses Portrait über den legendären Motorsportpionier. Zum 90. Geburtstag des Nürburgrings haben wir diesen Text aus dem Archiv gesucht, digitalisiert und machen die „Zweitveröffentlichung“ heute im Internet auf eifelon.de.
“Fahren ohne Führerschein!“, auf frischer Tat ertappt. Für jeden Halbwüchsigen wäre heute der Traum von der großen Rennfahrerkarriere erst einmal ausgeträumt. Bei dem autobesessenen Rudolf drückte man damals, 1918, jedoch beide Augen zu. Auch das hartnäckige Gerücht, er habe bei der späteren Führerscheinprüfung eine Laterne umgefahren, konnte seine Leidenschaft für schnelle, schnittige Wagen nicht bremsen. Im Gegenteil: Rudolf Caracciola raste im legendären „Silberpfeil“ von Sieg zu Sieg. In der Rennsport-Epoche vor dem zweiten Weltkrieg avancierte der tollkühne „Carratsch“ zu Europas bekanntesten Fahrer und war in den 1920er und 30er Jahren das umjubelte Idol einer ganzen Generation.
Als Sohn des Remagener Hoteliers und Weinhändlers Georg Caracciola wurde Rudolf am 30. Januar 1901 geboren. „Wir fünf Geschwister waren damals alle ganz versessen aufs Autofahren“, erinnerte sich seine 87-jährige Schwester Ilse Bausch-Caracciola 1984 bei einem Treffen. „Kaum hatten wir den Führerschein, kutschierten wir mit den Lieferwagen meines Vaters durch die Gegend.“ Doch Rudi wollte mehr als Weinfässer zum Bahnhof oder Hafen fahren…
Als Techniker steigt er bei dem Aachener Autowerk „Fafnir“ ein, das seinem Vetter Edmund Mauerhoff gehört. Jede freie Minute verbringt der dunkelhaarige Rheinländer auf der Piste. Ist dabei, wenn sich waghalsige Fahrer in riesigen Blechkisten die Siege abtrotzen. 1922 nimmt er an seinem ersten Rennen teil. Mit einem NSU-Motorrad startet der Lehrling bei der Fahrt „Rund um Köln“ – und gewinnt. Jetzt ist der 21-Jährige nicht mehr zu bremsen.
Beim Kleinwagen-Rennen auf der Berliner Avus kann Rudolf Caracciola zum ersten Mal richtig Gas geben. Mit einem Werkswagen, dem „Fafnir 6 PS“, geht er an den Start und wird Vierter in seiner Klasse. Wenige Monate später, im März 1925, muss der junge Mann Aachen jedoch verlassen: Nach einer Schlägerei mit belgischen Besatzungs-Soldaten wird der Hotelier-Sohn von der Polizei gesucht. Auf Anraten seiner vier Jahre älteren Schwester Ilse setzt er sich mit 60.000 Papiermark und einem Empfehlungsschreiben in einer Nacht- und Nebelaktion nach Dresden ab. Mehr schlecht als recht verdient er sich hier seinen Lebensunterhalt als Automobilverkäufer, kämpft aber verbissen darum, an weiteren Rennen teilnehmen zu können.
1923. Kleinwagen-Rennen im Berliner Grunewaldstadion. Für diese Rallye hat sich Rudolf Caracciola in letzter Minute einen Wagen organisieren können. Ein befreundeter Gutsbesitzer leiht dem Amateurfahrer seinen alten „Ego 4 PS“, und die Sensation ist perfekt: Mit dem sagenhaften Tempo von 77 Stundenkilometern schiebt sich der Außenseiter – ausstaffiert mit weißer Lederkappe, dunkler Fliegerbrille und flatterndem Halstuch – auf den ersten Platz.
Drei Jahre später ist der Name Caracciola in aller Munde. Beim Großen Preis von Deutschland auf der Berliner Avus siegt der 25-Jährige mit einem Mercedes-Achtzylinder 2000 K nach einem dramatischen Kampf.
Von da ab ist „Carratsch“ der Star in der Mercedes-Werksmannschaft. Er holt nicht nur den Sieg beim Eröffnungsrennen des Nürburgrings: Ob Monza oder Monte Carlo, der Spitzenfahrer hängt alle seine Konkurrenten ab und gewinnt 1931 sogar als erster Nicht-Italiener das 1.655 Kilometer lange Straßenrennen „Mille Miglia“. Fans und Freunde bewunderten ihn als „Mathematiker der Piste“, denn Caracciola war stets der Fahrer mit dem geringsten Reifenverschleiß und dem niedrigsten Benzinverbrauch.
1933 wird Rudi Caracciola aus der Bahn geworfen: Beim Trainingslauf in Monte Carlo versagen in der Tabak-Kurve die Bremsen. Sein Wagen rast gegen eine Mauer. Acht Monate lang liegt der Rennfahrer mit zerschmettertem Oberschenkel und gebrochenen Beckenknochen in Spezialkliniken. Trotz Gips-Streckverband ist das rechte Bein nach der Entlassung fast sechs Zentimeter kürzer als das linke. Doch Rudi Caracciola gibt nicht auf. Besessen von der Idee, wieder hinter dem Lenkrad seines „Silberpfeils“ zu sitzen, fährt er zur Kur in die Schweiz. Da trifft ihn der zweite Schicksalsschlag: Am 2. Februar 1934 wird seine Frau Charly, Tochter eines Berliner Hoteliers, beim Skiurlaub in Arosa bei einem Lawinenunglück verschüttet und erst Stunden später tot geborgen.
„Den Anruf werde ich nie vergessen“, erinnerte sich die weißhaarige Ilse Bausch-Caracciola 1984. „Nachts klingelte das Telefon und Rudi schilderte mir verzweifelt den tragischen Unfall. Sofort packte ich meine Koffer und fuhr in die Schweiz, um ihm in der schweren Zeit beizustehen.“
Was Kenner und Konkurrenten nach den Schicksalsjahren 33/34 für unmöglich hielten: 1935 geht Rudi Caracciola erneut für Mercedes an den Start und wird gleich Europameister. Auch privat geht es für „Carratsch“ wieder bergauf. Am 19. Juni 1937 heiratet er zum zweiten Mal: Die blonde Alice „Baby“ Hoffmann, Freundin seines Grand-Prix-Kollegen Louis Chiron und Ex-Frau eines Schweizer Groß-Industriellen. Alice Caracciola (gestorben 1977) über ihren Ehemann:
Ein ruhiger, innerlich froher, gütiger Mann… Während der Rennsaison waren wir nur zwischen den Rennen kurz zu Hause in Lugano. Dann lag er viel in der Sonne, um sein in Monte Carlo schwer beschädigtes Bein zu durchwärmen… Fast immer hatte er Schmerzen – er sprach nicht darüber. Ich merkte es nur, weil er dann schweigsamer war als sonst.
1938 sorgte der gehbehinderte Rennfahrer wieder für eine atemberaubende Sensation: Auf der Autobahn Frankfurt-Darmstadt bricht er am 28. Januar alle bisherigen Geschwindigkeitsrekorde. Sein Kollege Bernd Rosemeyer, der drei Stunden später diesen Weltrekord brechen will, verunglückt bei Kilometer 9,2 tödlich…
Selbst nach dem zweiten Weltkrieg tritt der mittlerweile 50-jährige Caracciola für die rasanten Rennwagen aus Untertürkheim in die Pedale. Doch ein schwerer Unfall in der 13. Runde der Berner Bremgartenstrecke beendet 1952 seine unglaubliche Karriere. Schwere Verletzungen am bis dahin gesunden linken Bein zwingen ihn zwei Jahre in den Rollstuhl.
Am 28. September 1959 starb der legendäre Rennfahrer, der bei 200 Starts 149 Siege verbuchen konnte, sechsmal Europameister und dreimal Deutscher Meister wurde, an den Folgen einer Gelbsucht. Die Trauerfeier für „Carratsch“ fand auf dem Stuttgarter Versuchsgelände von Daimler-Benz statt. Caracciolas Rennkollegen Karl Kling und Hermann Lang hielten mit seinen vier ehemaligen Monteuren Totenwache an seinem Sarg, der von seinen, mit Trauerfloren umwundenen Grand-Prix-Wagen aus den Jahren 1938 und 1939 flankiert war. Tags drauf wurde Rudolf Caracciola – Rennsport-Idol für Generationen – in Castagnola oberhalb des Luganer Sees beigesetzt.
Ein identisches Modell des Caracciola-Wagens ging auch bei den Nürburgring Classics an den Start.
Weitere Informationen zu den Nürburgring Classics finden Sie hier.
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