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Zeichnung des weitläufigen Anwesens Nießen vermutlich in der Zwischenkriegszeit 1918-1939. [Repro: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress]

500 Jahre „op dem Doteling“

Heimbach, Düttling: Dem berüchtigten „Schinderhannes“ wird im Volksmund häufig ein fast legendärer Raubüberfall zugeschrieben, der vor 200 Jahren auf ein Bauerngehöft mit Zollstelle und Herberge in Heimbach-Düttling verübt wurde. Eine ganze Reihe von Menschen wurden dabei misshandelt und verletzt, drei ermordet, die Gebäude in Brand gesteckt. Der Coup war einer der spektakulärsten seiner Zeit, er wurde in Zeitungen und Reisebeschreibungen erwähnt und diente Bänkelsängern als Vorlage für schauderhafte Lieder. Das an der Stelle wiederaufgebaute Fachwerkgebäude steht noch heute – und ist unschwer bei der Durchfahrt aus Richtung Hergarten in Richtung Gemünd von der Bundesstraße 265 aus zu erkennen.
Es handelt sich um ein Fachwerkhaus, dessen Front eine mächtige Buntsandsteinfassade mit Kreuz vorgelagert ist. Die Balken-Inschrift lautet: „Im Jahre MDCC ist dieses Haus aufgebaut worden von den wohlachtbaren Eheleuten Johannes Niessen und Christina Mell“.

Es war 1800 Gasthaus und Bauernhof der Familie Nießen, die um 1500 nach Düttling kam. Heinrich Josef Nießen, „Heinz“ genannt, ist der letzte männliche Nachkomme und Träger dieses alten Familiennamens. Er bewirtschaftete bis vor kurzem den 250 Morgen großen Bauernhof nebenan und nannte 70 Kühe sein Eigentum.

Sie kamen von der Burg Nideggen

Heinrich Josef „Heinz“ Nießen am elterlichen Haus in Düttling. [Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress]

„Ich habe zwei Töchter und drei Enkel“, verriet der Spross eines traditionsreichen Clans, der seit 500 Jahren an der Schwelle der heutigen Städte Mechernich und Heimbach lebt und wirtschaftet: „Aber mit mir und meiner Frau Elisabeth, geborene Jaschke, stirbt der Name, ich bin der Letzte…“
Ursprünglich waren die Nießens Bewirtschafter der landwirtschaftlichen Ländereien von Burg Nideggen. Um 1500 erwarben sie Land und Gebäude „auf dem Düttling“. Zu der Zeit habe es im Weiler an der alten Römerstraße nach Zülpich nur drei Häuser gegeben, den späteren Nießen-Hof habe die Familie von einem Pater Melchior übernommen. Düttling sei 1181 als Lehen der Abtei Siegburg und später der Abtei Steinfeld urkundlich erwähnt worden, so ein Bericht der „Kölnischen Rundschau“. Ende des 18. Jahrhunderts habe die Abtei Mariawald die seelsorgerische Betreuung übernommen, so zitiert das Blatt den 1955 geborenen Heinrich Josef „Heinz“ Nießen. Der übernahm den Familienbetrieb 1970 von seinem Vater Wilhelm Josef, der ihn wiederum von seinem Vater Hermann Josef erbte. Die Ahnentafel beginnt mit dem Ur-Ur-Ur-Großvater Christian Nießen.

Es war nicht „Schinderhannes“
Seine genauen Lebensdaten sind nicht überliefert, aber Christian Nießen dürfte ausgangs des 18. Jahrhunderts geboren sein, also möglicherweise Zeitgenosse und Überlebender jenes Raubüberfalls auf den „Doteling“, der lange Zeit dem legendären „Schinderhannes“ zugeschrieben wurde und als „Schreckensnächt von Düdeling“ in die Kriminal- und Regionalgeschichte einging. Eine mehr als 40 Mann starke Räuberbande überfiel am 20. Mai 1800 das Anwesen des Johann Niessen (60) und seiner Frau Christine. Sie raubten Geld und Schmuck, schlugen und knebelten die Bewohner, unter denen sich auch ein Notar Joseph Brücken befand, töteten den Fuhrmann Heinrich Hentz, den Sohn Andreas Nießen und die fünfjährige Enkelin Christina Schwitzers (Schweizer). Der Raubüberfall vom 20. Mai 1800 war das erschütterndste Ereignis einer langen Familiengeschichte.

Die Familie Nießen war furchtbar getroffen, so der Ortschronist Christian Beul. Sie verlor zwei Familienmitglieder sowie ihr Haus samt „Scheuer und Viehställ“ mit den dortigen Rindern und Kälbern und einem Schwein. Die Räuber nahmen „Leinwand, Hausmobilien, Geld und Kleider, kurz, alles, was man schleppen konnte, mit. Selbst einige Reliquien des Heiligen Donatus, dem die benachbarte Kapelle geweiht war.

Heinz Nießen (65) schrieb die Düttlinger Morde lange dem legendären Schinderhannes zu, einem Räuberhauptmann vom Hunsrück, der mit seiner Bande auch Streifzüge in die Eifel unternommen haben soll. Johannes Bückler, so sein richtiger Name, endete 21. November 1803 in Mainz auf der Guillotine, wurde aber von dem Schriftsteller Carl Zuckmayer als „Robin Hood des Rheinlands“ verklärt. In einer bekannten Verfilmung spielte Curd Jürgens die Hauptrolle.

Inzwischen weiß Nießen es besser. Täter vom Düttling war nicht der Sohn eines Abdeckers („Schinders“) aus dem Taunus, sondern eine der zu der Zeit äußerst aktiven rheinischen Räuberbanden. Diese vielköpfigen Banden – bis zu hundert Leuten – entsprachen dem heutigen Bild organisierter Kriminalität, so der Bergbuirer Sozialwissenschaftler Erich Hermes: „Dabei operierten sie vom rechten Rheinufer aus und verübten ihre Überfälle im seit Oktober 1794 französisch gewordenen Linksrheinischen.“
„Lohnende Objekte waren zuvor von fahrenden Händlern und Scherenschleifern … ausbaldowert worden“, heißt es in einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 200. Jahrestag des Düttlinger Raubmordes in der Wochenendausgabe vom 20./21. Mai 2000.


Getrennt reisen, vereint rauben

Der Hunsrücker Johannes Bückler war laut Erich Hermes eher ein kleiner Ganove, der tatsächlich mit seinen Kumpanen im Wald lebte, mal gerade drei Jahre sein Unwesen trieb und schon mit Anfang 20 im Jahre 1803 enthauptet wurde. Mit dem Düttlinger Überfall hatten weder er, noch der in Köln geköpfte Räuber Matthias Weber etwas zu tun. Den Überfall auf die Düttlinger Zollstelle im Gasthof Nießen schreiben die meisten Quellen der sogenannten „Neuwieder Bande“ zu. Deren Angehörige waren von ganz anderem Kaliber als der berühmt gewordene Bückler, so Erich Hermes:

Das waren organisierte und hochintelligente Kriminelle wie der »Züllicher Wilhelm«, Herz Hirsch, der später wegen anderer Straftaten enthauptete Michel Meyer und der Franzose Mathias Rouchet, der später als ‚der Major‘ einer der großen rheinischen Räuberhauptmänner wurde.

Es gab keine festen Bandenstrukturen. Verschiedene Anführer rekrutierten vor einem neuen Überfall ihre Mannschaften jeweils unter den einschlägig bekannten Kumpanen, die sie in Deutzer und Neuwieder Bordellen antreffen konnten. Die Bandenmitglieder reisten dann getrennt zum Ort des geplanten Verbrechens. Die meisten zu Fuß, so Erich Hermes seinerzeit im Gespräch mit dem Redakteur Manfred Lang, einige zu Pferd, und nur die Bandenchefs standesgemäß in der Kutsche.

Man versammelte sich in der Nähe des geplanten Raub-Ortes so kurzfristig wie möglich, manchmal erst am Tag des Überfalls. Lediglich ein Spion wurde zuvor ausgesandt, um die Lage und Örtlichkeit noch einmal auszukundschaften und manchmal weitere Mittäter aus der direkten Umgebung zu werben,

erklärt der Bergbuirer Sozialwissenschaftler. „Diese ‚Jungens‘ kannten die eigentlichen Täter gar nicht, sie wurden aber meist am ehesten erwischt und lenkten die Aufklärung oft in die falsche Richtung. Denn die eigentlichen Täter teilten schon eine Stunde nach dem Überfall die Beute, trennten sich wieder und reisten umgehend auf verschiedenen Wegen zurück auf die andere Rheinseite, wo sie sämtlicher polizeilicher Verfolgung entzogen waren.“

„Drickes, tust Du mir das an?“
Polizei und Verwaltung funktionierten auf dem frisch von den Franzosen besetzten linken Rheinufer noch nicht. Bis zum Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen herrschte ein Machtvakuum. Die rheinischen Räuberbanden tarnten sich bei ihren Überfällen meist auch noch als marodierende französische Soldaten. Das brach nicht nur jeden Widerstand bei den Opfern, sondern hinderte sie auch daran, das Verbrechen bei den französischen Behörden anzuzeigen.

In Düttling muss die Sache am 20. Mai 1800 allerdings nicht so reibungslos abgelaufen sein, wie das die Räuber ursprünglich geplant hatten. Normalerweise, so Erich Hermes, wurden nämlich weder Leute umgebracht, noch Gebäude in Brand gesteckt. Doch „auf dem Düdeling“, so die geheimen Notizen des öffentlichen Anklägers Keil und des Tribunalrates Becker von 1804, kam es zum versuchten, vielfachen und vollendeten Dreifachmordes und damit zu einem der spektakulärsten Räuberbandenüberfalle jener Zeit.

In den Notizen heißt es: „Vor dem Haus hatten sich über 40 bewaffnete Kerls mit Fackeln versammelt, die unter französischen Flüchen und Kommandos und viel Lärm mit einem großen Balken dabei waren, die äußere Wand einzurennen.“ Während die Familie Nießen versuchte, sich im Obergeschoss zu verschanzen, war die Räuberbande bald eingedrungen und überfiel zuerst die unteren Stuben.

Systematisch durchkämmten die Profis die Gaststuben der Herberge, die Zollstelle und den Bauernhof, nahmen den Leuten Ringe und Geld ab und misshandelten sie – vor allem Johannes Nießen, den Hofbesitzer, der die Verstecke von Geld und Wertgegenständen verraten sollte. Da erkannte Nießens Sohn Andreas plötzlich einen der Täter.

Drickes, tust Du mir das an?

waren seine letzten Worte. Der Andere: „Jesus Maria!“ Andreas Nießen und seine fünfjährige Nichte Christina Schweitzer wurden mit Bajonetten durchbohrt, die übrigen Opfer in der Herberge zusammengepfercht, die Herberge angezündet.

Die Räuber entkamen nach dem bekannten Muster unerkannt ins Rechtsrheinische. Nur drei als Statisten angeworbene Mitläufer aus der unmittelbaren Umgebung, so genannte „Jungens“, wurden später von einer Sonderkommission ermittelt, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet: Johann Brand und Peter Züll aus Hergarten sowie „des Pfeiffermanns Sohn aus Glehn“.

Der erwähnte Notar, der sich zur Zeit des Überfalls im Gasthof Nießen aufhielt soll auch einen gewissen Meller aus Kommern erkannt haben. Die „Kölnische Rundschau“ nennt in dem erwähnten Bericht auch „David Isak aus Nideggen und den Juden Möthgen aus Sinzenich“. Verdächtigt wurde in dem Zusammenhang laut einer Düttlinger Ortschronik von Christian Beul von 2009 auch ein Musikus Drickes, Spielmann aus Hoven, bei dem es sich möglicherweise um den von Andreas Nießen erkannten Heinrich Böhmer handelt.

Weitere Brände 1880 und 1987
Weiter ein Thomas Offermann, Adam Roedgen und ein Mann namens Gottlieb. „Neben diesen gehörten zu dem Überfall wohl auch die Hauptschuldigen am Raubmord, der Student Damian Hessel, der entflohene Galeerensträfling ‚Major‘ Mathias Rouchet aus Bordeaux, Michael Meyer und Johann Schiefer aus Köln“, schreibt Beul: „Diese wurden erst viel später gefasst und für verschiedene Delikte bestraft und guillotiniert.“

Und: „Weitere Räuber waren der Zülcher Wilhelm, sein Bruder Niklas Chagre, Wilhelm Schiefer aus Köln, Burmanns und Schwarz von Burscheid, die Frau Elisabeth Wirz und Herz Hirsch, der die 43 Mann starke Bande vom Düttling vom Pferd aus kommandiert hatte. Weitere Namen werden in der ‚Actenmäßigen Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins‘ verschwiegen.“

1880 brannte der Nießen-Hof übrigens ein weiteres Mal ab – und wurde wieder aufgebaut, ebenso Silvester 1987, als ein Großfeuer die Stallungen und Scheune des Hofs vernichtete. Sieben Rinder kamen um. 130 Wehrleute aus Heimbach und Mechernich waren im Einsatz. Dem voraus gegangen waren bereits drei kleinere Brände innerhalb eines Jahres. [pp/Agentur ProfiPress]

19.2.2021LebenHeimbach, Düttling0 Kommentare redaktion

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