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Chefredakteur (Robert Dölle, l.) und Badearzt (Paul Herwig). [Foto: Thomas Aurin / Schauspiel]

Die dunkle Seite der Politik: Kölner Schauspiel zeigt Henrik Ibsens „Volksfeind“

Umland, Köln: Eigentlich müsste das Publikum am Ende laut Buh rufen, vielleicht sogar Tomaten werfen. So schmierig, so abstoßend sind die Bühnen-Charaktere. Doch weil sie so zwingend und überzeugend dargestellt werden, gibt es zu Recht lauten und langen Beifall für das Ensemble, das jetzt im Kölner Schauspiel Henrik Ibsens „Volksfeind“ aufführt.

Es geht um Politik. Um Politik als dreckiges Geschäft, in dem jeder nur an sich denkt, selbst der, der das Wohl der Anderen als Ziel hat. Lügen und Intrigen, Machthunger und Feigheit, Erpressung und Angst, offene und versteckte Eitelkeit prägen die Auseinandersetzung um ein Kurbad, dessen Wasser durch Industrieeinleitungen vergiftet und lebensgefährlich ist.

Entdeckt hat die Vergiftung der Arzt Stockmann, Chef des von ihm ins Leben gerufenen Kurbads. Behoben werden könnte die Gefahr durch eine Verlegung der Zuleitung – doch das kostet die Stadt Millionen, und während der Bauzeit gehen der Stadt Einnahmen und Jobs verloren. Kein Wunder, dass der Bürgermeister – Bruder des Arztes – dagegen ist. Auch dem Zeitungsverleger und Vorsitzenden des Hausbesitzervereins gefällt das nicht, würden doch die Immobilienpreise sinken.

Wenn die Wahrheit nicht ins Geschäft passt, muss sie verleugnet werden

Wie also mit der Wahrheit umgehen? Sie wird verleugnet, und nach der Drohung, die Zeitung einzustellen, knickt auch deren Chefredakteur ein, der sich vorher durch die Berichterstattung eine Auflagensteigerung erwartet hat. Und wie geht man mit dem Kritiker um? Ihm – inzwischen zum Volksfeind erklärt – und seiner Frau wird mit dem Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung gedroht – und was wird dann aus den beiden Söhnen? Schließlich der ganz perfide Trick: Stockmanns Schwiegervater – als Gerbermeister wohl mit Schuld an der Vergiftung – hat die abgestürzten Aktien des Kurbads aufgekauft. Nun wird die drohende Vergiftung als Gerücht bezeichnet, mit dem der Arzt sich und seiner Familie die Aktienmehrheit sichern wollte.

Nein, Sympathieträger sind die Protagonisten alle nicht, die Regisseur Roger Vontobel auf die Bühne schickt. Allen voran der Bürgermeister: gerissen, intrigant, selbstherrlich, polternd, machthungrig, skrupellos. Bruno Cathomas beherrscht alle Facetten der Widerlichkeit. Ein eher trauriges Bild verkörpert Jörg Ratjen als „liberaler“ Verleger und Vorsitzender des Hausbesitzervereins: Wahrheit ja, aber bitte sanft und schaden darf sie nicht – also besser doch verschweigen und verfälschen. Eine traurige Gestalt auch der Chefredakteur (Robert Dölle): Aus dem kämpferischen Aufklärer wird ein kriecherischer, opportunistischer Journalist, der Angst um seine Zukunft hat und sich hinter dem Interesse der „Mehrheit der Leser“ versteckt.

Am Schluss entlädt sich die Verzweiflung des „Volksfeindes“ im Trommelwirbel

Dann Katharina Schmalenberg als Stockmanns Ehefrau: Übers Ganze gesehen eine „Nebenrolle“, schließlich ist Politik hier Männersache, als Frau muss sie sich zwischen Solidarität mit dem Ehemann und der Fürsorge um die Zukunft der Familie entscheiden. Schließlich die Titelfigur: Schauspiel-Gast Paul Herwig spielt den Wahrheitsverkünder und Retter mit einer Mischung aus Entschlossenheit, Wahrhaftigkeit, Sendungsbewusstsein und einem gewaltigen Schuss Eitelkeit. Zum Schluss wird sich seine Verzweiflung in einem wilden, minutenlangen Schlagzeug-Solo und einer Hasstirade auf die „Mehrheit“ entladen.

Und die Mehrheit? Sie wird durch die Theaterbesucher vertreten. Die begrüßt Stockmann beim Betreten von Depot 1 mit frischen Grillwürstchen und gezapftem Bier. Dann dürfen sie auch auf zwei Podien Platz nehmen, die die Spielfläche nach hinten begrenzen und die Bühne in eine Kampfarena verwandeln, worunter bisweilen die Akustik leidet. Zum Mitsingen bei einer Party aufgefordert, regt sich nur wenig. Mitmischen sollte die ja meist schweigende Mehrheit im realen Leben aber doch – sonst wird der über 100 Jahre alte „Volksfeind“ wieder bittere Wirklichkeit.

„Ein Volksfeind“ – weitere Vorstellungen: 8., 26. und 28. Juni, sowie am 3. Juli,  Schauspiel Köln, Depot 1 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 - 22128400, Fax: 0221  – 22128249, E-Mail: , dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. [ehu]

3.6.2016KulturUmland, Köln0 Kommentare Gast Autor

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