Kreise, Vulkaneifel: „Sie klingt für mich großartiger und fantastischer als die Orgel von Notre Dame, ein wahres Schätzchen, das es so nicht in Trier und nicht in Köln gibt. Es sind die mitteltönige Stimmung und vor allem der charakteristische Klang der alten Pfeifen, die unser Ohr so sehr berühren“, sagt der 49-jährige Kai Becker über die kleine Orgel von Sankt Leodegar in Niederehe. Seitdem er vor sechs Jahren zum ersten Mal ihr Spiel gehört hat, habe sie ihn nicht mehr losgelassen. Seine Leidenschaft für diese älteste erhaltene und spielbare Orgel in Rheinland-Pfalz von 1715, Erstlingswerk des weltberühmten Orgelbauers Balthasar König aus Bad Münstereifel, ließ den promovierten Lungenarzt gemeinsam mit dem Konzertorganisten Gereon Krahforst vor zwei Jahren ehrenamtlicher Nachfolger von Nobert Esselen werden. Dieser hatte bis dato die „Niedereher Orgelkonzerte“ organisiert. Renommierte Musiker aus dem In- und Ausland kommen zu dieser Gelegenheit nach Niederehe, um die „Kleine Königin“ zu bespielen. Am kommenden Freitag wird es die Organistin Ingelore Schubert mit europäischen Stücken aus der Zeit von Martin Luther sein.
Dabei stand es um die Orgel lange nicht zum Besten: „Das Instrument hatte verschiedene Umbauten über sich ergehen lassen müssen, war klanglich nicht mehr als König-Orgel erkennbar, klang jetzt romantisch statt mitteltönig, wie es während Renaissance und Barock üblich war“, schildert Orgelbaumeister Hubert Fasen, der nur zehn Minuten von der Kirche entfernt wohnt. 1997 erhielt er den Auftrag zur Restaurierung und Rekonstruktion der Orgel in ihren Originalzustand von 1715.
Ermöglicht hatte dies Klaus Kemp, Orgelfreund und Organist. 1963 hatte dieser das Instrument in einem kümmerlichen Zustand vorgefunden und fortan Spenden für seine Wiederherstellung gesammelt. „Es war eine interessante Detektivarbeit“, erinnert sich Fasen an die Restaurierung seiner ersten König-Orgel. Viele Spuren habe er gesammelt, mittels derer er Rückschlüsse auf die ursprüngliche Anbringung der Einzelteile ziehen konnte. Beispielsweise konnte er anhand der Schleifenbohrungen die weiteren Register auf der Windlade rekonstruieren. Neben Register- und Spieltraktur, die Klaviatur ausgenommen, waren Gehäuse und Windlade ursprünglich. Da einige Prospektpfeifen noch original erhalten waren, gelang es Fasen, anhand dieser die ursprüngliche „König-Temperatur“ und die Stimmtonhöhe a’ mit 421 Herz bei 15,3 Grad Celsius zu rekonstruieren. Fast alle Niedereher Orgelkonzerte hat er seitdem genossen und sagt, dass er „nach wie vor von unserer Arbeit überzeugt“ ist. Auch dem Konzert von Ingelore Schubert wird er beiwohnen.
Die Spezialistin für Alte Musik freut sich schon jetzt, die Orgel zu bespielen. „Da tut sich eine neue Welt auf“, sagt die Bremerin, von Hause aus Cembalistin. Seit zwölf Jahren beschäftigt sie sich auch intensiv mit den alten Orgeln, die insbesondere in Norddeutschland noch vielerorts zu finden sind. „Mit den heutigen Orgeln sind sie von ihrem Klang nicht zu vergleichen. Die Klänge sind obertonreicher und damit charakteristischer, ausdrucksvoller“, so Schubert. Jede der alten Orgeln sei eine Persönlichkeit, jede auf ihre Weise anders. „Die kleinen Orgeln sind dabei die interessantesten. Sie haben zwar nur wenige Register und ein Manual, sind dafür aber klanglich sehr farbenreich.“ Für sie ist es daher selbstverständlich, dass sie sich der einzelnen Orgel vor dem Auftritt erst einmal erschließt, einzelne Register ausprobiert, spürt, wie sich Raum und Klang durch kurzen oder langen Anschlag ergänzen oder auch nicht. „Das ist ein spannender Teil der Arbeit“, sagt sie.Im Gegensatz zu modernen Orgeln kann man an den alten zwar nicht auf alle Tonarten beliebig wechseln. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von reinen Tonarten, dadurch dass acht Terzen (fast) rein gestimmt sind. Musikstücke aus alter Zeit, die auf modernen Orgeln vielleicht langweilig klingen, können sich auf den alten Orgeln erst richtig klanglich entfalten. Umgekehrt sind viele der modernen Stücke auf den alten Orgeln nicht spielbar.
Die Stücke, die Ingelore Schubert am 30. Juni ab 20.00 Uhr spielen wird, sind sehr verschieden, zum Teil sehr gegensätzlich, „ein großer Blumenstrauß“ deutscher, spanischer, englischer und französischer Komponisten und Kompositionsstile von Gotik, über Renaissance bis zum Frühbarock. „Wenn ich die Stücke spiele, versuche ich, mich in die jeweilige Welt der Klänge hineinzubegeben, so dass die Musik und der Klang der Orgel übereinstimmen.“ Bei „Maria zart von edler Art“ von Arnold Schlick aus 1512 etwa empfindet und spielt sie das Liebliche, das Fromme nach. Bei „T´Andernaken” von Paul Hofhaimer hingegen drückt sie die Tasten kraftvoll vor Fröhlichkeit. Lungendoktor Becker wird sie unterstützen und der Orgel Wind über die Keilbälgen zublasen. Denn diese können auf historische Weise mechanisch betätigt werden. „Dann klingt die Orgel für mich weicher und damit noch schöner“, gesteht Becker. Er freut sich auf zahlreiche Besucher, die die 240 Plätze in der Niedereher Kirche während des kostenlosen Konzerts einnehmen werden. Bevor die Musik erklingt, hält der historisch bewanderte Rolf Endebrock einen Kurzvortrag über die Lutherzeit. Und aufgepasst: In der 800 Jahre alten Kirche ist es trotz Sommertemperaturen kühl, also warme Jacken mitbringen.
Die weiteren Orgelkonzerte in diesem Jahr finden am 1. September mit Christoph Grohmann und am 6. Oktober mit Gereon Krahforst statt.
Hier geht es zum vollständigen Programm:
Programm Niedereher Orgelkonzerte 2017
Weitere Informationen finden Interessierte unter http://orgel-niederehe.de/
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