Zülpich: Gleich zu Beginn stellte Erdmann Bierdel klar: „Lesbos war nicht sondern ist immer noch ein Urlaubsparadies“. Erst kürzlich war der Kreisjugendamtsleiter wieder einmal auf der griechischen Insel und berichtete bei diesem Vortrag im FairCafe über die Situation der Flüchtlinge. Denn inzwischen ist die Insel weitaus bekannter durch das Flüchtlingscamp als durch Urlaubsberichte. Er wolle auch Werbung für Lesbos als Urlaubsziel machen, meinte Bierdel. Schon als Kind lernte er die Insel kennen und schätzt sie bis heute: „Es ist eine tolle Insel mit tollen Menschen“. Daher war seine letzte Reise auch eine private Urlaubsreise, nur am Rande besuchte er dieses Mal die Camps, um sich über die aktuelle Lage der Flüchtlinge zu informieren.
Vom türkischen Festland ist Lesbos nur zehn Kilometer entfernt, kein Wunder, dass die Schleuser die Flüchtlinge über diesen Weg nach Europa bringen. Eindrucksvoll und engagiert berichtete Bierdel über die aktuelle Situation. Besonders im so genannten Hotspot, dem größten Camp auf der Insel, stellt sich die Situation dramatisch dar: Ausgelegt für 3.000 Menschen, leben dort inzwischen mehr als 13.000 Flüchtlinge. Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen leben dichtgedrängt zusammen, keiner von ihnen weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Konflikte können auf diese Weise schnell eskalieren. Dicht an dicht reihen sich die Zelte aneinander, zum Teil sind es provisorisch gebaute Unterkünfte mit allem, was die Migranten sich mühsam zusammen suchen können. Denn längst gibt es nicht ausreichend Zelte für alle. Paletten sind begehrt, denn wer welche ergattert, ist jedenfalls ein kleines bisschen vom Fußboden entfernt, an Decken fehlt es oft. Lange müssen die Bewohner des Camps für Wasser anstehen oder um die sanitären Anlagen nutzen zu können. Es gibt keinen Arzt im Camp und keinerlei Beschäftigung, keine Schule für die Kinder. Dies sei so gewollt, die Flüchtlinge sollen abgeschreckt werden, erklärte Bierdel, „doch das hat mit Abschreckung nichts mehr zu tun“. Das sei einfach nur zynisch. Das Leben der Menschen dort besteht aus Warten. Mehrere Jahre müssen sie ausharren, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.Der Rest von Europa schaut dagegen weg, die meisten Länder berufen sich auf das Dublin Abkommen, wonach die Menschen dort Asyl beantragen müssen, wo sie zuerst ihren Fuß auf den Boden der Europäischen Union gesetzt haben. Ursprünglich habe er gedacht, dass die Menschen nachts mit den Booten ankämen, erzählte Bierdel. Doch weit gefehlt. Mitten am Tag sind die Boote unterwegs. Es sind jedoch so Viele, dass die Türkei längst nicht alle abfangen kann. Und trotz der Schwimmwesten, die die Menschen tragen, ertrinken viele. Erdmann Bierdel hatte Westen für Erwachsene und Kinder mitgebracht, die sich die Besucher etwas fassungslos anschauten. Denn das Material ist dermaßen schlecht, dass die Westen kaum mehr als Dekoration sind. Leben retten, ist damit nicht möglich.
Rund 87.000 Bewohner hat die Insel, hinzu kommen die Flüchtlinge. Inzwischen machen sie einen Anteil von rund 37 Prozent an der Einwohnerzahl aus. Er habe sich gefragt, welche Ängste und Sorgen dies bei den Menschen auslöse, meinte Bierdel, doch er sei erstaunt, wie entspannt die Stimmung innerhalb der Bevölkerung sei. Viele Bewohner engagieren sich für die Flüchtlinge und zeigen, wie die Organisation besser funktionieren könnte, wenn man denn wollte. Beispielsweise im Pikpa Camp (für rund 150 Personen) der Organisation Lesvos Solidarity (https://lesvossolidarity.org), in dem vor allem besonders traumatisierte Menschen untergebracht werden oder KaraTepe (etwa 1.300 Plätze), wo schwerpunktmäßig Frauen mit Kindern unterkommen. Dort gibt es Strukturen für die Bewohner, wetterfeste Zelte oder Hütten, richtige Betten mit Decken und die Kinder können zur Schule gehen und werden dort beschäftigt. Die NGO‘s (Nichtregierungsorganisationen) gehen in diese Camps, um zu helfen – im Hotspot bleiben sie außen vor. Lesvos Solidarity hat sogar eine kleine Schneiderei aufgebaut, in der Flüchtlinge zusammen mit Bewohnern der Insel Taschen nähen – Als Material dienen ihnen die vielen Schwimmwesten, die in Massen weggeworfen werden. „Hier sind Orte, wo wir Menschen sind“, hörte Erdmann Bierdel dort von den Camp-Bewohner. Es geht also auch anders.
„Über der Insel weht kein depressiver Wind“, betonte Bierdel. Es sei nach wie vor ein Urlaubsparadies und wer es nicht wolle, komme mit der Flüchtlingsproblematik nicht in Kontakt. Orte wie die Müllberge mit den Schwimmwesten müsse man bewusst suchen. Der Tourismus sorgt für Einnahmequellen bei der Bevölkerung, die es schwer haben, sich zu behaupten. Der Vortrag war eingebunden in die Finissage zur Ausstellung von dem marokkanischen Künstler Ismail Laghbaba, der aus seinem Heimatland geflüchtet ist und sich bei seinen Bildern mit dem Begriff „Heimat“ auseinandergesetzt hat.
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