Heimbach: „4.000 Stunden stehen auf meiner ganz persönlichen Projekt-Uhr, das muss man aushalten können.“ Drei Jahre hat Verena Bauer, Initiatorin der Freien Schule Eifel (kurz: FSE), für die Realisierung der alternativen Schulform gekämpft. Hat Überzeugungsarbeit geleistet… Behördengänge bewältigt… Dutzende von Formularen und Förderanträgen ausgefüllt… und letztendlich das Elternteam für Renovierungsarbeiten im ehemaligen Wasser-Info-Zentrum Eifel zusammengeschweißt. „Jetzt seh‘ ich, wofür sich die ganze Plackerei gelohnt hat“, meint sie mit strahlenden Augen und blinzelt über ihren Mundschutz hinweg, während sie mich durch die „Klassen“-Räume führt.
Vier von fünf Anträgen waren bereits zum Ende der Sommerferien genehmigt, doch der fünfte, alles entscheidende Bescheid fehlte noch zu Schulbeginn. Deshalb besuchten die an der FSE angemeldeten Pänz zwei Tage lang die Regelschule. „Einem Kind gefiel es dort so gut, dass es nicht mehr wechseln wollte“, bedauert Verena Bauer.
Von ehemals über 20 angemeldeten Schülern wuseln nun elf frisch eingeschulte Kinder durch die Räume, in denen früher einmal die Heimbacher Hauptschule ihren Sitz hatte. Die Pänz kommen aus Abenden, Kreuzau, Nideggen, Nörvenich, Rath, Schmidt, Simmerath und Stolberg. Nur ein I-Dötzchen stammt aus Heimbach. „Für das nächste Schuljahr haben wir schon 21 Voranmeldungen aus der Eifel. Viele Familien aus dem Zülpicher Raum sind interessiert. So lassen sich Fahrgemeinschaften bilden“, denn an einen kleinen FSE-Schulbus sei frühestens in zwei Jahren zu denken.
Während unseres Interviews wird Verena Bauer von der Telekom angerufen. „In zehn Minuten haben wir endlich Telefon und Internet“, freut sie sich. Bislang lief der Hotspot stets über ihr Handy. „Bin gleich wieder da.“ Die Wartezeit überbrücken Emily (7) und Mara (6). Zappelig vor Freude erklären sie mir, was es alles in ihrer Schule zu entdecken gibt. Die Regale sind prall gefüllt mit Lehr- und Lernmaterialien. Da gibt es bunt aufgefädelte Perlenketten, die die Zehnerreihe verdeutlichen: Zehn weiße. Logisch: Zehn. Zehn weiße und zehn braune? „Zwanzig“, sprudelt es los.
In einem der hölzernen Regale liegen quadratische Holztafeln, auf denen – wie mit Sandpapier – jeweils ein Großbuchstabe abgebildet ist. So lässt sich der Buchstabe sowohl sehen, als auch mit geschlossenen Augen erspüren. Lernen mit allen Sinnen. In einer anderen Holzbox befinden sich weitere Tafeln. Die sind wie ein Tennisschuh genietet und mit einem überdimensionalen Schnürsenkel versehen: Ideal, um zu lernen, wie man eine Schleife bindet.
Besonders ehrfürchtig zeigen mir Emily und Mara ein Tablett, auf dem zwei Porzellankannen und etliche kleine Silbertellerchen liegen: „Das ist, um Manieren zu lernen.“ Verena Bauer lacht und ergänzt. „Viele Eltern trauen ihren Kindern nicht zu, dass sie mit Porzellan umgehen können, ohne es fallenzulassen. Das üben wir halt.“
Wenig später liegen die beiden Freundinnen wieder bäuchlings am Boden und studieren Wortkärtchen, die wie Dominosteine aneinandergereiht sind. Hier gilt es Reimpaare zu finden: Kelle und Welle passen zusammen, genauso wie Maus und Haus. „Ich habe schon über 20 Wortpaare gefunden“, meint Emily stolz und zeigt mir ihr Heft, in das sie die Begriffe gemalt hat.
Lago, der weiße, wuschelige Hund einer Lehrerin, hat sich neben die lernenden Kinder gekuschelt. Von Zeit zu Zeit wird er liebevoll gestreichelt und gebeten, Pfötchen zu geben. Auch Lago geht noch zur Schule. Momentan wird er zum Schulhund ausgebildet. „Es ist verblüffend zu beobachten, wie die Kinder auf unsern Hund reagieren“, schildert Verena Bauer das Miteinander. „Wenn wir sagen, pssst!, leise sein, Lago schläft, werden selbst laute Kinder still.“
Umrahmt wird die Szenerie von elf kunterbunten, sternförmigen Sitzkissen auf dem Fußboden. „Die hat eine Großmutter für uns gestrickt und jedes Kind durfte sich seine Lieblingsfarben, seinen Lieblingsstern aussuchen.“ Mit einem Sitzkreis, in dem der Tagesablauf besprochen wird, beginnt dann jeder Schultag.
Die direkte Nachbarschaft nehme regen Anteil an dem Projekt, freut sich die Powerfrau. „An den Wochenenden kamen sie vorbei, fragten, ob sie helfen könnten und borgten teilweise schweres Werkzeug aus.“ Auch die Kooperation mit der Offenen Ganztagsschule Heimbach entwickele sich positiv. Schulleiter Joachim Dunkel meint: „Die Einrichtung hat gekämpft“ und er hoffe, dass es zu einer guten Zusammenarbeit komme. Der erste Schritt ist schon gemacht: Die OGS Heimbach hat ausrangiertes Mobiliar – Tische und Stühle – der Freien Schule Eifel gestiftet.
Der Schulbetrieb läuft mittlerweile, doch „eine offizielle Eröffnung wird es erst geben, wenn coronamäßig alles wieder möglich ist“, bedauert das FSE-Team. „Vermutlich feiern wir das im Frühling nach.“
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