Hellenthal: Das Schicksal von „Haus Kremer“ in Hellenthal gleicht einer Achterbahnfahrt: Erst wurde 2013 ein Abbruch des unscheinbaren, baufällig wirkenden Hauses angeordnet… doch dann kam die große Überraschung. Was als „Dokumentation vor Abbruch“ begann, entwickelte sich für den Vlattener Architekten Johannes Prickarz 2014 zu einer spannenden Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Vom Hellenthaler Bürgermeister Rudolf Westerburg hatte der Altbau-Experte den Auftrag erhalten, das dem Abbruch geweihte „Haus Kremer“ in Wort, Bild und Skizzen zu dokumentieren. Bei seiner Bestandsaufnahme entdeckte er jedoch, dass sich hinter der schäbigen Fassade eine alte Gerberei aus dem 19. Jahrhundert verbirgt.
Zwar ist das „Haus Kremer“ als „giebelständiges, 2-geschossiges Wohnhaus“ in die Denkmalliste der Gemeinde Hellenthal eingetragen, doch bei dem Vlattener Experten kamen schnell Zweifel auf. „Was mir auf Anhieb komisch vorkam, war dieser Schornstein.“ Ein solch dicker, dominanter Kamin, der sich nach oben verjüngt, sei nicht typisch für ein einfaches Wohnhaus in der Eifel. Ebenso fiel ihm das ungewöhnlich massive Walmdach ins Auge. Seine Neugier war geweckt. In engem Kontakt mit Ortskundigen und Heimatforschern versuchte er, das Geheimnis von „Haus Kremer“ zu lüften. „Irgendwann habe ich dann nicht mehr auf meinen Stundenlohn geachtet“, lacht Prickarz, denn der gesteckte Zeitrahmen von 20 Dokumentationsstunden war schnell gesprengt. Nach monatelangen Recherchen entdeckte er den entscheidenden Hinweis im Feuer- und Sozietätskataster, das 1877 in der Bürgermeisterei Hellenthal angelegt wurde. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, dass der Eigentümer Matheis das Gebäude nahe der Olef zum damaligen Zeitpunkt als Gerberei feuerversichert hatte. Ab 1885 wurde die ehemalige Gerberei im Feuerkataster dann als Wohnhaus geführt.
Obwohl die Holzböden der nachträglich eingebauten Wohneinheit mittlerweile durchgemorscht und in den Keller gestürzt sind, gelang es dem Architekten damals eine detaillierte Bestandsaufnahme. Trotz des maroden Zustands der restlichen, zum Teil frei schwebenden Balken erkundete Prickarz auch den Keller. „Das war schon ein komisches Gefühl, wenn man nach oben schaute und die einsturzgefährdeten Decken sah. Vor allem, weil es dort unten keine Tür nach draußen gab!“
Der Einsatz hat sich gelohnt. Prickarz entdeckte weitere Beweise für die Existenz einer Gerberei: Einen Brunnen, Wasserbecken und Ablaufrinnen. In dem fast 70 Zentimeter dicken Mauerwerk waren zudem Nischen eingelassen, in denen – wie es auf alten Stichen zu sehen ist – die Gerber ihre Öllampen oder Wasserkrüge deponierten.
Gemeinsam mit den Denkmalpflegern des Landschaftsverbands Rheinland ist sich Johannes Prickarz sicher, einen historischen Hallenbau aufgespürt zu haben, der in früheren Jahrhunderten als Arbeits- und Lagerraum auf einem Natursteinsockel in Fachwerkbauweise errichtet wurde. „Diese neue Erkenntnis kam für uns völlig überraschend. Ein solches Objekt gibt es rheinlandweit in Alter und Baulichkeit nicht noch einmal“, freut sich Denkmalpflegerin Dr. Monika Herzog über die sensationelle Entdeckung.
Von einem Abriss war plötzlich keine Rede mehr. Mit ersten Maßnahmen sollte eine Grundsicherung des Gebäudes umgesetzt und ein Nutzungskonzept entwickelt werden. „Im Idealfall werden wir demnächst das alte Handwerk der Gerberei an diesem Ort präsentieren können“, schaute Winfried Kaiser vom Hellenthaler Bauamt damals zuversichtlich in die Zukunft. Und Hellenthals Bürgermeister Rudolf Westerburg formulierte begeistert: „’Haus Kremer‘ war gestern. Heute haben wir die Gerberei Matheis. Da geht kein Weg dran vorbei.“
Heute klingen die Töne aus dem Rathaus allerdings ganz anders. Da die zukünftige Nahversorgung der Bevölkerung nicht gesichert sei, solle das historische Gebäude abgerissen werden und an gleicher Stelle ein Discounter und gegebenenfalls ein Drogeriemarkt entstehen, wird nun von Verwaltungsseite argumentiert. Auf der Hellenthaler Internetseite ist zum Stichwort „Städtebauförderprojekt“ bei der Darlegung öffentlicher Maßnahmen folgende Formulierung zu lesen:
Das provoziert Kopfschütteln – nicht nur in der Bevölkerung. Bei vielen Hellenthalern und vor allem den Denkmalpflegern stößt diese neue Gangart der Verwaltung auf Unverständnis.Bestandteil der Förderung war ursprünglich die ehemalige denkmalgeschützte Lohgerberei an der Hardtstraße, für die keine wirtschaftliche und nachhaltige Lösung gefunden wurde. Im Zuge der Planung Einzelhandel ist hier im Bauleitplanverfahren ein Abriss des Gebäudes vorgesehen.
In NRW sind etwa 90.000 Objekte in der Denkmaldatenbank erfasst. Darunter nur sieben ehemalige Gerbereien, die allerdings alle aus dem späten 19. Jahrhundert – der Zeit der frühen Industrialisierung – stammen.
Die Hellenthaler Gerberei, die – laut dendrochronologischer Untersuchungen – 1817 errichtet wurde, ist in ihrem Originalzustand erhalten, somit für Wissenschaft und Forschung von unschätzbarem Wert und gibt Aufschluss über die Arbeitsabläufe des vorindustriellen Gerberhandwerks.
Das Baudenkmal ‚ehemalige Gerberei‘ ist ein hochbedeutsames und einzigartiges Geschichtszeugnis und mithin ein hohes Gut, das nicht reproduzierbar ist. Der Verlust des Hauses würde über die Region hinaus eine Verarmung der Baukultur und Baulandschaft bedeuten
spricht sich Dr. Monika Herzog vehement gegen einen Abriss des in NRW einmaligen Kulturdenkmals aus.
Unter Federführung von Dirk Maass, der 30 Meter von dem Baudenkmal entfernt wohnt, formiert sich nun Widerstand gegen den Abriss. Demnächst ist ein Treffen für all diejenigen geplant, die mit der momentanen Abrisslösung nicht zufrieden sind. Zudem sollen Unterschriftenlisten ausgelegt werden.
Bei einem Abriss würde ein Stück Hellenthaler Geschichte zerstört“,
ist sich Maass sicher. „Hier soll ein zweihundert Jahre altes Industriedenkmal für den zweifelhaften Erfolg eines Großdiscounters geopfert werden“, fährt er fort und verweist auf die zahlreichen Einzelhandelsgeschäfte, deren Existenz durch einen ALDI-Markt ebenfalls gefährdet sei.
Sollte – trotz allen Widerstands – dem Abriss stattgegeben werden, setzen die Abriss-Gegner auf eine Petition, die sie an die nordrhein-westfälische CDU-Ministerin Ina Scharrenbach schicken wollen. In ihren Antrittsreden hatte die Politikerin, die für die Ressorts Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung zuständig ist, stets betont, dass sie eine ihrer Hauptaufgaben darin sehe, die Instandsetzung von Denkmälern zu unterstützen. Deshalb wolle sie sich dafür einsetzen, dass es zukünftig wieder mehr Zuschüsse gebe, denn nur so könne eine lebendige Tradition aufrecht erhalten werden.
„Unser Ziel ist es, die alte Gerberei Matheis von Bürgern für Bürger zu erhalten. Warum sollte uns das nicht gelingen, wie den engagierten Ehrenamtlern, die die Grube Wohlfahrt zu neuem Leben erweckt haben,“
ist aus den Reihen der Abrissgegner zu hören.
Bisher 1 Kommentar
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Wäre schon toll, dieses „Kleinod“ der vorindustriellen Eifler Baukultur im
Kernort Hellenthal, baulich-behutsam integriert vorzufinden!
Ein weiterer ansprechender Anziehungspunkt für Hellenthal in der Eifel.
Sind wir uns doch bewußt: Wir befinden uns alle im gesellschaftlichen Umbruch,
nachhaltig zu leben, und sollten demnach handeln!
Landlust, Landliebe, regionale Produkte, traditionelle Baukultur, Alleinstellungsmerkmale der Heimat, wird uns mit Stolz nahegebracht!– Leben wir es?
Geht es nicht darum, konzeptionelle und schlüssige Lösungen zu finden, die das Leben und Wohnnen auch in Hellenthal attraktiv gestalten — mit einem Denkmal“Haus Kremer“?
Besteht nicht auch in der Baukultur eine Verantwortung, die Heimatidentifikation der Menschen zu fördern? Die richtige Sprache zu finden um auch diejenigen dafür zu interessieren , die normalerweise mit dieser Sicht auf ländliche Entwicklung nichts zu tun haben?
Einmal abgerissen–unwiederbringlich vernichtet!!
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