Kall: Vor dreieinhalb Jahren sprach Georges Nehme noch kein einziges Wort Deutsch. Mittlerweile weiß er sogar, wie so manches Wehwehchen auf Eifeler Platt heißt. Auch wenn der 28-jährige syrische Apotheker zugibt, dass er beim ersten Mal, als ihm ein Eifeler etwas von „Buch-Ping“ erzählte, nicht wusste, was gemeint ist. Doch seine Kollegen in der Linda-Apotheke gegenüber dem Kaller Rathaus haben ihn dann flugs aufgeklärt, dass sich hinter diesem Begriff Bauchschmerzen verstecken. Auch sein Vorname hat inzwischen einen Eifeler Einschlag erhalten: Aus dem französisch klingenden Georges ist „der Schorsch“ geworden. Der junge Apotheker ist angekommen in Kall und seiner neuen Heimat Deutschland.
Im September 2015 sah das alles noch anders aus. Wegen des Kriegs in seiner Heimat war er aus Aleppo geflohen und zunächst nach Dortmund gekommen. Von dort wurde er nach Kall übermittelt. Weil ein Aufenthaltstitel fehlte, durfte er keinen Deutschunterricht besuchen und auch nicht arbeiten. Ein Jahr musste er sich gedulden. Als die Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde, meldete er sich umgehend bei der Volkshochschule an, um Deutsch zu lernen.
Untätig war Nehme, dessen Eltern, Bruder und Schwester in Kall und Köln leben, in dem Jahr aber nicht. Zum einen unterstützte er die Flüchtlingshilfe Kall als ehrenamtlicher Übersetzer. Zudem hat er sich im Selbststudium so gut die deutsche Sprache beigebracht, dass er zweimal hochgestuft wurde und im November 2017 die Sprachprüfung Telc-Deutsch-C1 – ein Sprachtest auf weit fortgeschrittenem Niveau – ablegen konnte. Gleichzeitig absolvierte er seine Fachsprachenprüfung als Apotheker. Der studierte Pharmazeut durfte nämlich trotz seines Abschlusses in Syrien in Deutschland nicht einfach als Apotheker arbeiten.
Hartmut Kieven, damals Flüchtlingshelfer für den Caritasverband in der Region Eifel e.V., hatte Georges Nehme schließlich Jürgen Lutsch, Inhaber der Linda-Apotheke in Kall, vorgestellt. Nehme absolvierte ein sogenanntes „praktisches Jahr unter Aufsicht“ in der Apotheke und legte im Dezember 2018 sein Staatsexamen ab. Jetzt ist er Angestellter, bald wird er auch seinen ersten Notdienst übernehmen.
Das Studium in Syrien und Deutschland sei inhaltlich nicht unterschiedlich, wohl aber die Arbeit. „PTA und PKA gibt es in Syrien nicht“, erklärt Nehme und meint pharmazeutisch-technische und pharmazeutisch-kaufmännische Assistenten. Auch die Namen einzelner Medikamente sind anders, wenngleich manchmal nur marginal – so wird aus „Voltaren“ beispielsweise „Voltaran“. In Syrien werden Medikamente nach Hersteller sortiert, in Deutschland gibt es besondere Vorgaben für die Aufstellung in der Apotheke. Ein gravierender Unterschied allerdings: Antibiotika gibt es in Syrien rezeptfrei. Und dann wäre da noch die Herausforderung der bürokratischen Ordnung. „Hier muss man sehr viel abheften“, sagt Georges Nehme lachend.
Das Apothekenteam von Jürgen Lutsch habe ihn von Anfang an unterstützt und sei sehr offen gewesen. Auch viele Kunden hätten ihm viel Glück und Erfolg gewünscht. Mittlerweile hat er wieder so etwas wie einen normalen Alltag und rät Geflüchteten, nie die Hoffnung zu verlieren.
Deutschland ist ein sehr gutes Land und ich bin froh, dass ich nun etwas zurückgeben kann“,
sagt er. Für den 28-Jährigen ist es wichtig, positiv nach vorne zu blicken und nicht nur in der Vergangenheit zu leben.
Für seine Zukunft hat er weitere Pläne: Ein Master-Studium oder einen Fachapotheker-Abschluss hält er für mögliche Alternativen. Aber das bereitet ihm derzeit kein „Kopp-Ping“, ein weiteres Wort, das ihm seine Kunden beigebracht haben. Denn Nehme, der sich mittlerweile als „Fast-Eifeler“ fühlt, hat auch eine kölsche Lebensphilosophie gelernt: „Et kütt wie et kütt.“ [pp]
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