Eifel: „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben“ – so beschrieb Adolf Hitler 1938 die durchorganisierte „Erziehung“ der Jugend zu „wahren Deutschen“. Ein Thema auch für Historiker. Doch diese werteten bislang meist nur offizielle Quellen aus. Das NS-Dok ermöglicht jetzt im Internet einen Blick aus der Sicht der Jugendlichen von damals.
„In diesen fünf Monaten habe ich viel Freude bekommen“, schreibt da etwa der 10-jährige Richard Danebrok, der 1943/44 mit der Kinderlandverschickung in Nideggen gelandet war. Jahrzehnte später erinnerte er sich, dass dieser Aufenthalt seiner Familie „sinnvoll“ erschienen war. Auch er stellte – wie viele andere damals jugendliche Zeitzeugen – seine Aufzeichnungen dem NS-Dok zur Verfügung.
Ein (ungenanntes) Mädchen hatte es zur selben Zeit auf einen Hof in Hollerath verschlagen. „Es gefällt mir sehr gut, und ich fühle mich wohl hier“, schrieb es. Besonders gefielen Waldspaziergänge, der Umgang mit Küken und Kühen und dass sie jeden Morgen von einer Stubenkameradin mit der „Quetsch“ geweckt wurde.
Ein anderer Junge schwärmt in seinem Lagertagebuch von den schönen Geländespielen, die andere vom gemeinsamen Singen am abendlichen Lagerfeuer. Und wieder ein anderer schildert in einem Brief an seine Eltern die bislang vergeblichen Versuche, einen katholischen Gottesdienst zu besuchen.
Es sind vielfältige, oft widersprüchliche Aussagen, die das Leben in den zahlreichen Einrichtungen der Jugenderziehung beschreiben. Eine in diesem Umfang einmalige Sammlung von Selbstzeugnissen: 79 – oft mehrbändige „Lagertagebücher“ – hat NS-Dok-Mitarbeiter Martin Rüther ins Netz gestellt, 17 weitere Tagebücher, 17 umfangreiche Briefwechsel von Kindern mit ihren Eltern. Dazu fast 130 Fotoalben – und weitere Dokumente sind in Arbeit, müssen gescannt und transkribiert werden. Wer kann heute noch Süterlin-Schrift lesen?
Hinzu kommen Zeitzeugen-Erzählungen, einschlägige Zeitschriften und historische Filme, sowie Tonaufnahmen, die etwa für Radiosendungen auf Schallplatten gepresst wurden. Gleichzeitig werden die Dokumente in den historischen Kontext gesetzt. Ermöglicht hat das Projekt „neue Quellen zur Lagererziehung“ die Fritz-Thyssen-Stiftung. Zu finden ist sie unter: www.lagererziehung.nsdok.de
„Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Lager“, formuliert NS-Dok-Mitarbeiter Martin Rüther, der die umfangreiche Online-Dokumentation quasi im Alleingang über mehrere Jahre geschultert hat. Neben den Konzentrations- oder Arbeitslagern, deren Insassen aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, gab es auch in einer „wahnsinnigen Vielfalt“ Aktivitäten, die der Integration in die NS-Gesellschaft dienten. Am bekanntesten sind die Kinderlandverschickung, das Landjahr, der Reichsarbeitsdienst und natürlich die verschiedenen (Freizeit-)Angebote der NS-Jugendorganisationen. Der Aufenthalt konnte bisweilen mehrere Jahre dauern.
In diesen Einrichtungen waren die Jugendlichen massiven ideologischen Beeinflussungen ausgesetzt. „Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln“, so Hitler in seiner eingangs zitierten Rede vor Kreisleitern in Reichenberg. Aus den jetzt vorgelegten Quellen lässt sich ablesen, wie dies bei den Kindern und Jugendlichen ankam, wie diese Indoktrination auf Dauer wirkte. Bis hin zu den angeordneten Fotos, die zur Erinnerung gemacht und dann in den persönlichen Alben landeten.
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