Umland, Köln: Den Koran kennt sie besser als die Männer. Doch sie ist eine Frau. Und das zählt mehr – zu ihren Ungunsten. „Bilqiss“ ist eine bittere, mitreißende, verstörende Anklage gegen einen vom Patriarchat geprägten, salafistisch-fundamentalistischen Islam. Jetzt zu sehen im Theater der Keller. Viel Beifall für eine schwere Kost – doch unbedingt sehenswert.
Senkrechte rote Schnüre teilen die Bühne in durchlässige Segmente auf: Rote Linien, die die junge, selbstbewusste Bilqiss permanent überschreitet. Zwischen ihnen lassen sich weiße Stoffbahnen herabziehen – und so sittsam und korankonform die Bereiche zwischen Mann und Frau trennen.
Die Titelheldin überschreitet viele rote Linien
Die roten Linien: Das ist der Aufruf zum Morgengebet, den Bilqiss (so wird im islamischen Kulturkreis die weise Königin von Saba genannt) anstelle des betrunkenen Muezzins tat. Da ist das Lob für Lehrer und Bäcker, die – statt zu beten – arbeiteten. Durchaus im Sinne Allahs, wie sie meint. Dass beide deswegen später zu 37 Peitschenhieben verurteilt werden, bringt Bilquiss in arge Gewissensnöte.
Rote Linien, das sind der Besitz eines Buches mit Gedichten des persischen Mystikers Hafis, Make-Up und die „schlampige“ Verhüllung mit dem Schal. Auch der Besitz einer Aubergine – für eine Frau verboten, weil sie wie ein Phallus aussieht. Das aber kann bei einem Mann Erregung auslösen. Ebenso wie ein Fußkettchen.
Männer oder Frauen – wo ist die Wurzel des Bösen?
Vor diesem Bösen müssen die Männer geschützt werden. Und vor deren Erregung die Frauen. So will es die Religion. Aber wenn das Böse mit der Wurzel ausgerissen werden soll, müsse man dann nicht an der Wurzel des Mannes anfangen? Und: „Wann könnt ihr mich ansehen, ohne eine Erektion zu bekommen?“, fragt Bilqiss. Fürwahr eine Provokation für ihre Mitbürger (vielleicht auch für einige Mitbürgerinnen).
Die allerdings stehen unter Druck der Fundamentalisten, die den Ort seit kurzem beherrschen. Unter Druck auch der alte Richter, zu seinem Amt erpresst. Innerlich steht er – einst mit einer selbstbewussten Lehrerin verheiratet – eher auf Bilqiss’ Seite, verliebt sich sogar in sie. Am Ende aber gibt er unter Skrupeln dem Ruf nach der Todesstrafe nach.
Eine Journalistin aus dem Westen will Bilqiss beistehen
Bilqiss steht nicht nur stellvertretend für die Unterdrückung der Frau, sondern auch für die Vereinnahmung durch westliche Medien. So meldet sich eine „interessierte“ Journalistin (und Feministin), die ihr beistehen will. Nach anfänglichem Zögern erfüllt sie Bilqiss Bitte – und wirft den tödlichen und erlösenden ersten Stein.
Getroffen, sinkt Bilqiss zu Boden und sehnt den Tod herbei. „Ich warte“, sind ihre letzten Worte. Die Scheinwerfer gehen aus – und das Publikum braucht einen Moment, um sich vom Schrecken zu befreien. Dann setzt zögerlich der immer lauter werdende, dankbare Applaus ein.
Alle Rollen sind mit Frauen besetzt – auch die des Richters
„Bilqiss“ ist eine Gastproduktion des ‚theaterblackbox‘ für das Theater der Keller.
Ulrike Janssen hat den Roman von Saphia Azzeddine für die Bühne dramatisiert und alle Rollen mit Frauen besetzt. Durch ihr Trio starker, präsenter Persönlichkeiten vermeidet sie einen ablenkenden „Geschlechterkampf“ auf der Bühne.
Im Mittelpunkt steht Franziska Seifert in der Titelrolle: Selbstbewusst, aber nicht selbstherrlich, intelligent, eine Freundin des offenen Wortes, verantwortungsvoll, ernst, auch ein bisschen kokett. Doris Plenert ist der Richter: Er scheint die ganze Last der Welt auf seinen Schultern zu tragen. Gramgebeugt und wehmütig, voll versteckter Zärtlichkeit sucht er einen Ausweg aus seinem Dilemma, um sich schließlich doch der Gewalt zu beugen. Susanne Seuffert ist die Dritte im Bunde, spricht zunächst die szeneverbindenden Worte. Sie ist die Lehrerin, mit der der Richter verheiratet war, schließlich die Journalistin Leandra, voll Mitgefühl, aber auch einem Hauch westlicher Überheblichkeit.
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