Umland, Stolberg: Gregor Gysi kommt von links. Schon allein der Weg zur Bühne am Donnerstagabend im Zinkhütter Hof verdeutlicht, welcher Partei der Politiker aus Treptow-Köpenick angehört. Mit dem Moderator Jürgen Rummel sorgte der Bundestagsabgeordnete der Linken für einen gelungenen Abend. Dabei war die Veranstaltung im Rahmen des Literaturfestivals „Lit.Eifel“ keine Lesung im üblichen Sinne. Unter dem Titel „Nachdenken über Deutschland“ traten Rummel als Fragesteller und Gysi als blitzgescheiter Interviewpartner zum pointierten Dialog an und streiften auch so abseitige Themen wie Darmbakterien, künstliche Besamung und McDonald’s-Filialen an der Mecklenburgischen Seenplatte. Dabei präsentierte sich Gysi in der Pause sogar als Typ zum Anfassen. In der Halbzeit machte er sich eifrig ans Signieren. Dabei erfüllte er auch den Wunsch einer jungen Frau und posierte mit ihr für ein Selfie.
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Diese junge Dame kam Gysi für ein Selfie recht nahe.
Unmittelbar nach der Begrüßung durch den Stolberger Beigeordneten Robert Voigtsberger lenkte Jürgen Rummel das Gespräch sofort auf das aktuell drängende Thema US-Wahl, die Donald Trump am Dienstag gewonnen hatte. Gysi bezeichnete den Republikaner als „schlicht und ungebildet“, der vermutlich noch nicht mal wisse, wer Mozart oder Bach seien. Insgeheim hofft Gysi, dass Trump den politischen Apparat der USA unterschätzt. Was er aber auch glaubt: Trump und Putin werden so gut miteinander auskommen, dass sogar eine Chance besteht, dass der Krieg in Syrien endet.
Ein weiteres dringendes Thema war die AfD und wie man mit ihr umzugehen hat. Die Partei solle man nicht verhindern, so Gysi, vielmehr müsse man dafür sorgen, dass die Bürger das Interesse verlieren, sie zu wählen. Dazu müsse die CDU wieder konservativer werden („Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal fordern werde“, sagte Gysi dazu), das Steuersystem müsse gerechter werden und die Wirtschaft müsse sich stärker für die Bürger einsetzen.
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In der Pause erfüllte Gregor Gysi die Autogrammwünsche der Zuschauer.
Dennoch ist Gysi ständig unterwegs – auch, weil er zu Einladungen so schlecht nein sagen kann. Da mutet es für einen Schnelldenker und -sprecher wie ihn seltsam an, wenn er zugibt: Vor einer leichten Veranstaltung wie der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst, den er im Februar erhalten wird, hat er mehr Angst als vor jeder politischen Veranstaltung. Wobei sich Gysi dann auch wieder freut. „Einen Tag vor der Verleihung komme ich aus dem Winterurlaub zurück, am Morgen danach muss ich den Bundespräsidenten wählen – da bin ich doch nicht nüchtern!“
Aber wie war das jetzt mit der künstlichen Besamung, den Darmbakterien und den McDonald’s-Filialen an der Mecklenburgischen Seenplatte? Viele Menschen wissen, dass Gysi als Rechtsanwalt tätig ist. Demgegenüber relativ unbekannt ist, dass der Berliner in der DDR Facharbeiter für Rinderzucht gelernt hat. Die Kenntnisse daraus fand er für seine politische Arbeit eminent wichtig. Er könne künstlich besamen, melken, was gerade beim Beschaffen von Geldern wichtig sei, und wisse außerdem, wie man mit Rindviechern umzugehen habe. Die Darmbakterien-Anekdote stammt aus einem Gespräch mit dem Dramatiker Heiner Müller. Die beiden hatten sich darüber unterhalten, was nach dem Tode bleibt und Gysi kam zu dem Schluss: „Von Darmbakterien bleibt über Millionen Jahre etwas übrig, also auch von mir. Das ist großartig!“
Nicht weit entfernt von Darmbakterien ist McDonald’s. An einem Tag Anfang der 90er-Jahre, der vollgestopft war mit Terminen, kam ihm der mit Prinz Claus der Niederlande eigentlich komplett ungelegen. Für den auf Hektik und Termindruck getrimmten Gysi, war der langsam und bedächtig sprechende Prinzgemahl eine Qual. Heute sagt er: „Von all den Terminen, die ich an dem Tag hatte, ist mir aber nur der noch in Erinnerung.“ Einer der an Gysi gerichteten Wünsche des Prinzen, der aus dem mecklenburgischen Adelsgeschlecht Amsberg stammt: Rund um die Mecklenburgische Seenplatte sollen keine Filialen der Fastfoodkette entstehen. „Ich nehme Politik sehr ernst“, sagte der „Zweckoptimist“ Gregor Gysi am Ende der Veranstaltung, um das Gesagte einzuordnen. Denn er sei auch für unterhaltsame Momente, „ansonsten wird man verbittert.“ In Deutschland gelte man nur als seriös, wenn man „kotzlangweilig“ sei. „Ich will aber beweisen, dass man auch seriös sein kann, ohne kotzlangweilig zu sein.“ Bei der Lit.Eifel-Veranstaltung in Stolberg ist ihm das prächtig gelungen. [pp]
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