Eifel: „Keiner konnte bei unserem ersten Treffen im Februar ermessen, welche Herausforderungen auf uns zukommen“, eröffnete Dezernent Dirk Hürtgen den zweiten Runden Tisch des Kreises Düren in Sachen Flüchtlingsfragen. Schwerpunkt sei es nun, eine Vernetzung aller beteiligten Kommunen und Organisationen zu erreichen, fuhr er fort und forderte die Vertreter aller 15 Gemeinden – von Aldenhoven bis Vettweiß – auf, ihre Erfahrungswerte zu schildern. Und so wurden im Kurzprotokoll der Kommunen die tagesaktuellen Parameter, Stand 20. Oktober, verkündet, denn die Flüchtlingszahl ändere sich stündlich. Fazit: „Unsere Kapazitäten sind erschöpft.“
Betreute Aldenhoven zum Zeitpunkt der Konferenz 173 Zufluchtsuchende aus über 20 Nationen, so kümmerte sich Jülich um 440 Migranten aus 23 Nationen. „Ohne ehrenamtliche Helfer hätten wir längst einpacken können“, lautete anschließend der einhellige Tenor. Solange wie möglich, wolle man an der dezentralen Unterbringung der Flüchtlinge festhalten, betonten die Vertreter der einzelnen Kommunen.Bereits am Vormittag hatte es eine Krisensitzung der betroffenen Bürgermeister mit Landrat Wolfgang Spelthahn gegeben, um eine gemeinsame Resolution an die Bezirksregierung auf den Weg zu bringen. Die Ende letzter Woche verschickte Order, dass jede Kommune – egal wie groß – bis spätestens Mittwoch 70 neue Unterbringungsplätze bereitstellen solle, hatte nicht nur im Kreis Düren für Unruhe und Empörung gesorgt. Im gemeinsamen Antwortschreiben formulierte Spelthahn das durchgängige „Missfallen“ und stellte klar, dass mit dem Ausbau des ehemaligen Munitionsdepots in Gürzenich-Wald zur zentralen Notunterkunft die geforderten Plätze gewährleistet seien. Die zur Verfügung gestellten Plätze seien deshalb auf das Kontingent des Kreises anzurechnen. Zudem unterstrich er erneut im Namen der einzelnen Gemeinden, dass die Kapazitäten im Kreis Düren „völlig ausgereizt“ seien.
Auf Rückfragen aus dem Plenum erläuterte Schulrat Michael Schevardo die brisante Problematik der „Beschulung“. Oft dauere es sieben Wochen, bis schulpflichtige Migrantenkinder erstmals am Unterricht einer deutschen Schule teilnehmen dürften. Zuvor müssen die wissbegierigen Neuankömmlinge einen Behördenmarathon absolvieren. Erst wenn – nach langer Wartezeit – die schulärztlichen Untersuchungen erfolgt und die Kinder auf ihre Kenntnisse und Wissensstand geprüft sind, dürften sie die Schulbank drücken. Dieses bürokratische Prozedere löste bei den Anwesenden im Saal Kopfschütteln aus. Kommentare wie „Typisch deutsch!“ oder „Gesetze!“ waren im Publikum zu hören. „Die Schulen sind extremst gefordert. Da ist viel Kreativität gefragt“, hob Schevardo hervor. Lehrer stünden bereit, um weitere Übergangsklassen zu bilden. Doch es sei schwierig, spezielle Pädagogen für das Fach Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache zu finden.
Um ein konstruktives Miteinander der Kulturen zu ermöglichen – so war es in den Stimmungsberichten aller Gemeinden zu hören – ist viel Eigeninitiative erforderlich. Auch Heimbach, die kleinste Stadt Nordrhein-Westfalens, steht vor großen Herausforderungen: Bei einem aktuellen Einwohnerstand von knapp 4.400 Bürgern sind momentan 76 Asylsuchende aus 18 Nationen inbegriffen. Darunter drei Neugeborene, die hier zur Welt gekommen sind. Geben und Nehmen, gelebte Nachbarschaftshilfe heißt hier die Devise. Nachdem Asylsuchende bereits bei der Weinlese mitgeholfen hatten, startete eine große Apfel-Aktion. Auf den Streuobstwiesen im Stadtgebiet wurden gemeinsam über 600 Kilo Äpfel aufgesammelt, die anschließend zu Saft gepresst und an die Familien verteilt werden konnten. Während des zweiten Runden Tisches, bei dem Heimbacher Bürger, Verwaltung und Vertreter sozialer Einrichtungen ihre Ideen koordinierten, wurden weitere Initiativen in die Wege geleitet: Die Einrichtung einer Fahrradwerkstatt, eines Näh-Kurses und eines Begegnungscafés. Konkret wurde auch die Einrichtung einer privat initiierten „Vorschule“, damit die Flüchtlingskinder spielerisch Deutsch lernen können, bevor sie offiziell eingeschult werden. Fahrradtraining, damit die Neuankömmlinge mit ihren von der Bevölkerung gespendeten Rädern auch sicher an ihr Ziel kommen, steht ebenfalls auf dem Stundenplan. Kleine Aktionen, die aber gegenseitige „Berührungsängste“ nehmen und das positive Miteinander stärken.
Wie hoch der Druck auf Politik und Verwaltung trotz des ehrenamtlichen Engagements der Bürger ist, lässt sich aus dem Appell ablesen, den der Städte- und Gemeindebund an NRWs Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und darüber hinaus an Bundeskanzlerin Angela Merkel richtete. Insgesamt 215 Bürgermeister aus ganz NRW unterzeichneten einen Dringlichkeitsbrief und fügten einen acht Punkte umfassenden Forderungskatalog hinzu. Bereits jetzt wären Städte und Kommunen mit der akuten Flüchtlingsproblematik dermaßen überlastet, „dass sie kaum noch in der Lage seien, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen.“ Um den Ansturm auf Deutschland zu regulieren, sei es deshalb umumgänglich, die Lebenssituation in den Herkunftsländern zu verbessern.
Die im Arkikel erwähnten Briefe im Wortlaut als pdf:
Forderungskatalog des Städte- und Gemeindenbundes NRW
Antwortschreiben von Landrat Wolfgang Spelthahn an die Bezirksregierung Köln
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