Eifel: Die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel setzen viele Emotionen frei. Befreundete Gastautoren haben sich mit der Thematik beschäftigt. Aber lesen Sie selbst…
Schon wieder ein Jahr vorbei! Nee, wie de Zick verjeeht! Neujahr ist ja übrigens auch schon lange nicht mehr das, was es mal war. Selbst in der Eifel nicht. Ich erinnere mich noch haargenau: Früher mussten wir Kinder an Neujahr immer zu Patentante und Patenonkel, also zu Jott und Patt, um denen ein gutes neues Jahr zu wünschen. Der Eifeler Standardspruch zum Jahreswechsel lautete: „Jlöcksellisch Nöjjohr, dr Kopp voll Hohr, de Muhl voll Zänk, ett Jlöck enne Hänk!“ Wir Kinder beschränkten uns allerdings auf den ersten Teil: „Jlöcksellisch Nöjjohr!“ Und im Gegenzug kriegten wir dann von Jott und Patt den sogenannten „Platz“.
Das war ein dunkelbraunes, rundes Rosinenbrot mit der neuen Jahreszahl drauf gebacken. So ein Platz war ein derartig voluminöser Oschi, das Ding hatte bei uns im Küchenschrank gar keinen Platz, deswegen hieß das vermutlich auch so: Platz! Irgendwo musste der Begriff ja herkommen: „Dä – haste dinge Platz!“ Später ist mir dann allerdings klar geworden: Es war ja der gleiche Wortstamm wie beim „Weihnachts-Plätzchen“ – und weil das Gerät so riesig war, also ein erwachsenes, ein großes Plätzchen, war es logischerweise, genau: Ein Platz. Die Zusammenhänge sind eben oft viel simpler als man zunächst denkt. Und du kriegtest ja zwei von diesen Mega-Plätzen, einen von Jott, einen von Patt, und dann rolltest du mit diesen bräunlichen Teigmonstern durch den seinerzeit um diese Jahreszeit noch üblichen mannshohen Schnee nach Hause, und alle zehn Meter begegnete dir ein anderes Kind mit seinen zwei Plätzen. Ein äußerst reger Roll-Verkehr kreuz und quer durch das gesamte Dorf. Und wehe, es ging irgendwo steil den Berg runter: „Huiiii“ – sausten die rosinenbespickten Räder abwärts wie die Post, und die Kinder stolperten, rutschten und schlidderten auf dem Hosenboden verzweifelt hinterher. Und wer schon mal nen Schneemann gebaut hat, kennt ja den Effekt: Wenn die Plätze unten ankamen, waren daraus zwei riesige Schneeräder geworden – mit einem Durchmesser von mindestens fünf Metern. Da konntest du erst mal ne halbe Stunde den Schnee da runterkloppen, bis du dich wieder bis zu deinem Platz durchgekämpft hattest.
Und wir waren ja siebzehn Kinder zu Hause – der Eifeler Mann wurde seiner Rolle in der Evolution damals eben noch voll gerecht. Evolutionsbiologen sind übrigens längst zu der Erkenntnis gelangt: Männer, die sich nicht fortpflanzen, braucht niemand. Auf solche Männer kann die Welt gut und gerne verzichten. Sagt der Evolutionsbiologe. Evolutionstechnisch machen Männer demnach überhaupt nur einen Sinn im Augenblick der Zeugung: Der Mann als Sekundenkleber der Evolution.
Siebzehn Kinder, das hieß, wie wir damals so überaus witzig sagten, „nach Adam sei‘m Riesen“, im Klartext: Vierunddreißig Plätze! Oder anders ausgedrückt: Bis zu den Sommerferien brauchtest du dir wirklich absolut null Gedanken darüber zu machen, was Mama dir wohl für die Pause in den Schulranzen packen würde: Rosinenbrote, Rosinenbrote, Rosinenbrote! Jeden Tag Rosinenbrote! Nur mit Butter drauf. Anfangs hatte sie es mal mit Rübenkraut probiert, aber spätestens, als ich die Seiten meines Rechenbuchs auch mit viel Terpentin nicht mehr auseinanderkriegte, hat sie das mit dem Rübenkraut lieber wieder gelassen. Acht Monate täglich Rosinen-Doppelte, das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Jedenfalls: Als meine Deutschlehrerin mir eines Tages sagte, ich hätte wohl nur Rosinen im Kopf, war mir sofort klar, wo die herkamen.
Aber Rosinenbrote hin, Rosinenbrote her, unbestritten ist: Damals war an Neujahr noch schwer was los im Eifeldorf. Leider ebenso unbestritten: Alles Schnee von gestern.
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