Mechernich: Geboren, gewaschen, vermessen und dann ab ins Bettchen des Neugeborenenzimmers? Heutzutage ist das in vielen Krankenhäusern nicht mehr so und schon gar nicht in solchen mit dem Qualitätssiegel „Babyfreundlich“ wie beispielsweise im Mechernicher Kreiskrankenhaus.
Vor 25 Jahren haben die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF die „Babyfriendly Hospital Initiative“ (BFHI) ins Leben gerufen, mit der sie die Säuglingssterblichkeit weltweit bekämpfen wollten. Ziel der Initiative ist es, die Eltern-Kind-Bindung, die Entwicklung der Kinder und das Stillen zu fördern. Laut UNICEF könnten jährlich über 800.000 Säuglinge vor dem Tod geschützt werden, wenn alle Säuglinge ab der Geburt über sechs Monate lang gestillt würden. Die Säuglingssterblichkeit ist bei nicht gestillten Babys 14-mal höher als bei gestillten. Ein Grund ist hierbei, dass sich in der Muttermilch Abwehrstoffe befinden, die das Kind vor verschiedenen Infektionskrankheiten schützen.
Inzwischen gibt es weltweit über 21.000 „Babyfreundliche Krankenhäuser“ in mehr als 150 Ländern, davon 1.100 in Industriestaaten. Derzeit sind es knapp einhundert in Deutschland, wobei NRW mit über 20 zertifizierten Krankenhäusern auf Platz eins steht. Das Kreiskrankenhaus in Mechernich hat zudem eine Doppelqualifizierung erhalten: Sowohl die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe als auch die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin dürfen sich „Babyfreundlich“ im Sinne der WHO/UNICEF-Initiative nennen. Bundesweit ist diese Klinik für Kinder- und Jugendmedizin eine von fünf zertifizierten Kinderkliniken. Über drei Jahre wurden die Mitarbeiter des Krankenhauses mit der Philosophie der Initiative vertraut gemacht und gemäß ihrer Kriterien geschult. Das Qualitätssiegel „Babyfreundlich“ ist drei Jahre gültig. Danach kann eine Rezertifizierung erfolgen. „Wir sind sehr stolz darauf, das zweite Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen zu sein, bei dem die Fachbereiche Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Kindermedizin von der WHO/UNICEF-Initiative als ‚Babyfreundlich‘ zertifiziert wurden“, unterstreicht Dr. med. Herbert Schade, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. „Dadurch sind wir in der Lage, eine umfassende familienorientierte Betreuung von Müttern, Eltern und Neugeborenen zu praktizieren, auch bei kranken oder zu früh geborenen Neugeborenen.“
Eine als „Babyfreundlich“ ausgezeichnete Klinik für Geburtshilfe und Kinderheilkunde handelt nach den Kriterien „Bindung ermöglichen – Entwicklung fördern – Stillen fördern und unterstützen“. Mutter und Neugeborenes werden nicht mehr – wie früher oftmals üblich – nach der Geburt getrennt, das Baby zum größten Teil von der Säuglingsschwester versorgt. Im Vordergrund steht heutzutage der Haut-zu-Haut-Kontakt ab der Geburt, der sich beidseitig positiv auf die Entwicklung der Eltern-Kind-Bindung auswirke. Am besten liegt das Baby nur mit einer Windel auf Mamas oder Papas nacktem Oberkörper (Känguru-Pflege). Im Mechernicher Krankenhaus gibt es auch kein Säuglingszimmer mehr. Mütter beziehungsweise die Eltern können so kontinuierlich mit dem Kind zusammen sein (integrative Wochenbettpflege). In der Kinderklinik können die Mütter nach der Erstversorgung ebenfalls direkt zum Kind, so dass der erste, Bindung stiftende Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem nicht gestört wird. Das Personal der Kinderklinik helfe der Mutter, ihr Frühgeborenes oder krankes Neugeborenes zu stillen oder mit Muttermilch zu ernähren. Dies wirke sich nachweislich positiv auf das Gedeihen des Kindes aus, so Mediziner Schade.
Diese gestärkte Bindung soll auch das Risiko minimieren, dass die Eltern das Kind vernachlässigen und misshandeln. Ist die Bindung zum Kind gut aufgebaut, seien die Eltern in der Lage, „die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, seine körperliche, geistige und soziale Entwicklung optimal zu unterstützen und zu fördern“, steht in der Grundsatzerklärung der Initiative. Ein ebenfalls wichtiges Kriterium für das „babyfreundliche Krankenhaus“ ist die Stillförderung. „Stillen ist die einzige adäquate Ernährung für Säuglinge und vor allem für Frühgeborene“, erklärt Katrin Grunwald, Oberärztin in der Pädiatrie. Das Krankenhaus klärt Mütter rund ums Stillen auf, so dass sich diese bewusst für oder dagegen entscheiden können. Wieder zunehmend entscheiden sich Mütter für das Stillen: Vor fünf Jahren wurden 15 Prozent der Neugeborenen während ihrer Zeit in der Klinik für Geburtshilfe vollständig gestillt, seit letztem Jahr seien es über 90 Prozent.
Im Umkehrschluss bedeutet die Zertifizierung „Babyfreundliches Krankenhaus“ nicht, das andere Krankenhäuser babyunfreundlich sind. „Wir haben zwar die Qualifizierung noch nicht angestoßen, weil wir vorrangig andere Projekte wie den Bau neuer Kreißsäle im St.-Marienhospital in Birkesdorf realisiert haben, setzen Kriterien der Initiative aber schon praktisch um“, so Silke Freyaldenhoven von der Caritas Trägergesellschaft West GmbH.
Weitere Informationen zum Thema finden Interessierte unter www.babyfreundlich.org.
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