Kall: Viele Jahrzehnte lang war das alte Fachwerkhaus im Schatten der Pfarrkirche ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Doch nun droht der ältesten Kneipe in Kall das Aus. Die Tage der Gaststätte Gier sind gezählt, nachdem der derzeitige Pächter Dieter Forner den Pachtvertrag aus gesundheitlichen Gründen zum 31. Juli gekündigt hat. Mit der Schließung des Gasthauses droht den Kaller Vereinen nun auch der Verlust des einzigen Dorfsaales. Ob das Maigeloog, der Karnevalsverein, diverse Skatrunden oder andere Gruppierungen, sie alle stehen derzeit recht ratlos und künftig „heimatlos“ da. Vergeblich haben sich der Gebäudeeigentümer und der Bierlieferant bemüht, einen Nachfolger für Dieter Forner zu finden, der von seiner 28-jährigen Tätigkeit als Gastwirt 13 Jahre lang die Gaststätte Gier betrieben hat. Mit gemeinsamen Anstrengungen haben jetzt die Gemeinde Kall, das Vereinskartell, der Hauseigentümer Andreas Gier und die Getränkelieferanten Hans Joachim und Marc Baum den Versuch gestartet, das schleichende Kneipensterben im Ort zu stoppen und die historische Gaststätte zu retten. Vorbild ist ein Modell in Strempt, wo die Vereine vor dem gleichen Problem standen und mit Hilfe der Stadt und der Ortsvereine eine Lösung gefunden wurde, die inzwischen seit drei Jahren erfolgreich umgesetzt wird: In Strempt hatte die Stadt damals die Immobilie erworben und den Vereinen zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt.
Bei einer Informationsveranstaltung, zu der der Kaller Ortsvorsteher und Vereinskartellssorsitzender, Guido Keutgen, in den Saal Gier eingeladen hatte, stellten die Beteiligten die Rettungspläne und deren geplante Umsetzung durch die Vereine vor. Der gute Besuch der Veranstaltung deutete darauf hin, dass nicht nur die Kaller Vereine den Erhalt der Traditionskneipe wünschen, die, so Bürgermeister Herbert Radermacher, seit Jahrzehnten „einen guten Ruf genießt“. Deshalb sei auch die Gemeinde froh, dass sich viele Kaller um den Erhalt der historischen Gaststätte bemühten. Die Ratsfraktionen hätten nach einem ersten Gespräch mit allen Beteiligten ihre Zustimmung zu der angedachten Vorgehensweise und zum Kauf des Gebäudes durch die Gemeinde signalisiert, wenn dadurch die Gaststätte erhalten bleibe. Natürlich werde die Gemeinde keinesfalls als Betreiber der Gaststätte auftreten, sondern lediglich als Eigentümer der Immobilie, die dann den Vereinen oder einer zu gründenden GbR (Gemeinschaft bürgerlichen Rechts) oder einer anderen Rechtsform zur Bewirtschaftung zur Verfügung stehe. Radermacher: „Wir müssen dabei die Vereine in die Verantwortung nehmen.“
Andreas Gier, Hauseigentümer in dritter Generation und Enkel der langjährigen Wirtin „Giers Luissje“, die die Gaststätte bis 1983 betrieben hatte, ehe sie nach 69 Jahren als Wirtin aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, berichtete, dass er sich seiner Großmutter gegenüber verpflichtet sehe, dass das Haus weiter als gastronomischer Betrieb genutzt werde. Leider habe er keinen Nachfolger für den beliebten Gastwirt Dieter Forner finden können. Trotzdem habe er aber mehrere Kaufangebote von Interessenten abgelehnt, die das historische Gebäude für eine andere Nutzung erwerben wollten. Er überlasse das Gebäude der Kommune zu einem recht niedrigen Preis, weil voraussichtlich zur Erlangung einer neuen Konzession noch bauliche Auflagen erfüllt werden müssten. Diese Arbeiten, so berichtete Bürgermeister Herbert Radermacher, sollten von den Vereinen in Eigenleistung erbracht werden. Ralf Schumacher, Chef der Kaller Bauzentrale, kündigte an, dass er sich sowohl als Firma als auch als Privatperson an den Investitionen beteiligen werde. In naher Zukunft, so berichtete Vereinskartell-Chef Keutgen, werde in der geschlossenen Gaststätte ein Behördentermin mit dem Kreis (Bauamt, Brandschutz, Lebensmittelüberwachung) stattfinden, um festzustellen, welche baulichen Veränderungen für den Weiterbetrieb erforderlich sind. Danach seien die handwerklichen Eigenleistungen der Vereine gefragt. Auch das bisherige Personal von Dieter Forner habe sich bereit erklärt, bei dem geplanten Projekt mitzumachen. Es sei vorgesehen, die Gaststätte auch weiterhin, wenn auch zu reduzierten Zeiten, für die Allgemeinheit offen zu halten.
Mit dem Verlust der Gaststätte Gier ginge für Kall ein Stück Ortsgeschichte verloren, sagte Bierverleger Hans Joachim Baum, der sich bereit erklärt hatte, das gesamte vorhandene Inventar anzukaufen und für die Bewirtschaftung zur Verfügung zu stellen. Baum riet zur Gründung einer GbR durch einige Kaller Vereine. Wichtig sei vor allem, dass das Projekt mit „Herzblut und Eigendynamik“ angegangen werde. Natürlich müsse einer in der Spitze der Betreiber-Gemeinschaft vertreten sein, der kaufmännischen Verstand habe. Als Finanzexperte und ehemaliger Bankdirektor sah Gottfried Schnitzler in dem Projekt ein großzügiges Angebot an die Kaller: „Ein solches Objekt mietfrei bewirtschaften zu können, ist eine einmalige Chance und eine ganz tolle Sache“, so Schnitzler. Eine Bewirtschaftung sei auch als Genossenschaft denkbar. Optimal wäre es, wenn sich drei oder fünf Vereine, die wirklich hinter der Sache stehen, zusammenschließen und die Bewirtschaftung übernehmen. Ein kleinerer Arbeitskreis wird sich nun mit der weiteren Planung des Projektes befassen und Vorschläge für eine mögliche Form der Bewirtschaftung erarbeiten. In etwa sechs bis acht Wochen könnte über das Ergebnis berichtet werden; hierzu werden dann alle Kaller Bürger und die Vereine informiert. [pp]
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