Eifel: Nach der kurzen Ära des Hochrads setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts das Niederrad durch. Daneben kamen aber auch Dreiräder, die mit Hand- und Fußbetrieb vorwärts bewegt wurden, oder Liegeräder in Mode. Zudem eroberten erste Tandems den Markt. Ein Zweisitzer aus dem Jahr 1894 war kurioserweise so konstruiert, dass der Vordermann mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saß. Bei einem anderen Modell traten die Radler nebeneinander – nicht hintereinander, wie heute üblich – in die Pedale.
Fahrrad fahren zu lernen, war in früherer Zeit vermutlich genauso aufregend, wie heutzutage einen Führerschein zu absolvieren. Man besuchte Radfahrschulen mit gedeckten oder offenen Arenen, wo die Fahrschüler sich darin übten, die Balance auf dem zweirädrigen Vehikel zu halten. Für die Anfänger gab es deshalb unterschiedliche Lerntechniken. Mal wurden zwei solcher Zweiräder mit beweglichen Stangen und Kupplungen miteinander verbunden. Ein Umkippen war somit ausgeschlossen und der „Fahrlehrer“ gab Richtung und Tempo vor. Auch die heute bei Kinderrädchen wieder bekannten „Stützräder“ sorgten schon damals dafür, dass der Fahrschüler auf dem Schulungsrad im Gleichgewicht blieb.
Ein wahres, technisches Wunderwerk war der so genannte „Radfahr-Lernapparat“, ein drei Meter langes, anderthalb Meter breites und zwei Meter hohes Gestell, das optisch einer Guillotine glich. In den senkrechten Rahmen wurde das Rad auf beweglichen Rollen eingespannt, sodass der Fahrschüler auf der Stelle fuhr und so sein Gleichgewicht trainieren konnte. Diese frühe Technik erinnert an die Laufbänder in den heutigen Fitness-Studios, auf denen die Sportler ebenfalls auf der Stelle laufen…
Mit dem Fahrradboom entstand eine ganze Ausstattungsindustrie: Vom Luftdruckmesser, über Kettenbürsten bis hin zur Fahrradapotheke – gefüllt mit Hoffmannstropfen, Hämoroidenzäpfchen und Muskelbändern. Gepäckhalter, Kilometermesser, Kartentaschen, Rückspiegel und sogar Blumenstraußhalter wurden für das neue Fortbewegungsmittel kreiert.
Wer das Radfahren bereits perfekt beherrschte, verzichtete oft auf den gepolsterten Kopfschutz und legte größeren Wert auf den Chic der damaligen Zeit: Der modische Fahrradfahrer wählte als Kopfbedeckung große Schlägerkappen, Matrosenmützen oder „Kreissägen“. Diese leichten Strohhüte mussten allerdings mit einer schwarzen Seidenschnur ans Knopfloch gebunden werden, sonst wären sie im Fahrtwind weggeweht worden. Um die Jahrhundertwende trug der modebewusste Radfahrer zudem enganliegende, sportliche Trikothosen, später kurze Kniehosen aus Trikot oder Wollstoff, die dann von legeren Pluderhosen abgelöst wurden.
Die Lust am Fahrradfahren beeinflusste auch die damalige Damenmode. Für die fahrradfahrende Frau waren Pluderhosen zwar verpönt, doch viele Frauen setzten sich über diese Bevormundung hinweg. Mit einem geteilten Rock konnte man allerdings nichts falsch machen: Solche „Hosenröcke“ galten als schicklich und sportlich zugleich. Damit kein unerlaubter Blick auf die trainierten Waden möglich war, steckten die Beine bis zum Knie in Schnürstiefeletten. Das Pendant dazu waren die langen Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten und auf dem Kopf der selbstbewussten Radlerin wippte kokett ein Federhütchen.
1896 sprach die US-amerikanische Frauenrechtlerin Susan B. Anthony in einem Zeitungsinterview mit der New York World über das Fahrrad:
Ich denke, es hat mehr für die Emanzipation der Frau getan als irgendetwas anderes auf der Welt. Ich stehe da und freue mich jedes Mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad sehe. Es gibt Frauen ein Gefühl von Freiheit und Selbstvertrauen.“
In Österreich wurde 1893 der erste Frauenradfahrclub Österreich-Ungarns, der Grazer Damen-Bicycle-Club aus der Taufe gehoben. Die Damen des Grazer Bicycle-Club absolvierten bemerkenswerte Reisen. Vinci Wenderich fuhr 670 Kilometer ins Friaul, Fanny Allmeder vom oststeirischen Pöllau über das Strassegg (1.166 m) nach Marburg. 1895 unternahm Louise Sorg mit ihrem Mann, dem Radrennfahrer Franz Fuchs, per Tandem eine Hochzeitsreise über Triest nach Venedig.
Während betuchte Bürger das Fahrrad bald gegen das komfortablere Automobil tauschten, blieb das Zweirad lange Zeit das Fortbewegungs- und Transportmittel der Arbeiter. Mitte der 1960er Jahre wurde Fahrradfahren zum Familiensport. Die gemeinsame Radtour gehörte zum obligatorischen Sonntagsprogramm vieler Familien.
Mit Entwicklung des Mountainbikes in den 1970er Jahren avancierte das Fahrrad zum Sportgerät der unbegrenzten Möglichkeiten: Wenn es im rasanten Tempo über Stock und Stein geht, sind – neben der Balance – auch Geschicklichkeit und Wagemut gefragt.
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