Umland, Köln: Auf 500.000 schätzt man die Zahl der Sinti und Roma aus ganz Europa, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die Ausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“ im NS-Dokumentationszentrum geht diesem Massenverbrechen nach – und zeigt dessen Vorgeschichte und Nachwirkungen bis heute.
Ein zentrales Ziel ist es, den Opfern ein Gesicht zu geben – das Gesicht, das sie hatten, bevor sie zu Opfern wurden. Das Gesicht, das sie nicht von den anderen glücklichen Menschen der Gesellschaft unterscheidet, in der sie gelebt haben. Das wird durch zahlreiche private Fotos aus Familienalben gezeigt – und zu sehen sind Menschen beim Feiern, in Soldatenuniformen aus dem Ersten Weltkrieg, im Beruf. Als Schmied, Arbeiter, Schüler, Akademiker, Sport-Champions – und nicht nur als Musiker.
Zigeunermusik – ein romantisierendes Klischee, das bis heute weiterbesteht wie die Idylle des „reisenden“ Volkes am Lagerfeuer oder der „feurigen“ Zigeunerin“, wie Beispiele aus der Sammlung des Kölner Rom e.V. zeigen.
Pseudo-Wissenschaft „Rassenkunde“ machte sie zu „minderwertigen“ Menschen
Die „Wissenschaft“ der Rassenkunde, vorangetrieben durch die „Rassenhygienische Forschungsstelle“, hatte aus ihnen „minderwertige Menschen“ gemacht, die aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen werden konnten. „Die Menschen wurden einem genetischen Kollektiv zugeschrieben und damit zum kulturellen Kollektiv konstruiert“, erläutert Kurator Frank Reuter.
Wobei der Antiziganismus der Nazis nicht aus dem Nichts kam, sondern seine Vorläufer hatte. Eindrücklich und anhand historischer Dokumente zeigt die Ausstellung, wie die industrielle Vernichtung des NS-Regimes funktionierte. Am Ende wurden rund 500.000 Zigeuner ermordet – oft genug mit Hilfe von Kollaborateuren und Regierungen der von Deutschen besetzten Länder.
Nach 1945 setzte sich die Diskriminierung ohne Unterbrechung fort
Das 3. Kapitel der Ausstellung hat den Kampf der Überlebenden und ihrer Angehörigen um Entschädigung zum Thema. 1952 lehnte ein deutsches Gericht den Antrag der KZ-Überlebenden Gisela Pohl auf Haftentschädigung ab. Die rassische Verfolgung wurde geleugnet. Stattdessen wurde sie – trotz eines lobenden Arbeitszeugnisses der Firma Tengelmann – weiter als „asozial“ bezeichnet. Hauptzeuge: ein Polizist, der schon 1943 bei der Deportation nach Auschwitz beteiligt war. Von der achtköpfigen Familie überlebten nur zwei das KZ.
Noch 1956 behauptete der Bundesgerichtshof, es habe keine rassische Verfolgung gegeben, stattdessen habe es sich um „kriminalpräventive“ Maßnahmen gehandelt. Erst 1982 entschuldigte sich die damalige BGH-Präsidentin Bettina Limperg für dieses „beschämende“ Urteil.
Neue Quellen dokumentieren die Nähe der katholischen Kirche zur NS-Ideologie
Die jetzt in Köln präsentierte Ausstellung beruht auf der 1982 eröffneten Dauerausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Im Laufe der Zeit kamen zahlreiche neue Dokumente hinzu, auf deren Grundlage die Wanderausstellung „Rassendiagnose: Zigeuner“ entstand. Köln ist nach Nürnberg ihre zweite Station.
Zu den neuen Quellen gehört auch das Tagebuch von Michael von Faulhaber (damals Erzbischof von München und als Hitler-Anhänger bekannt). Darin berichtet er vom Hilfegesuch eines katholischen Zigeuners, sich gegen drohende Deportation und Sterilisierung einzusetzen. „Nein, keine Hilfe in Aussicht stellen“, heißt es da am 5. April 1943. Die Verfolgung von Glaubensbrüdern und –schwestern wurde hier schweigend in Kauf genommen.
Noch immer haben 60 Prozent der deutschen Vorurteile gegen Sinti und Roma
Der Bittsteller war der Vater von Romani Rose, Gründer des Heidelberger Dokumentationszentrum und Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er setzte sich für den Ersatz des mit Klischees und negativen Vorurteilen belasteten Begriffs „Zigeuner“ durch „Roma und Sinti“ ein und kämpfte für Gleichberechtigung der Minderheit, die seit über 600 Jahren in Deutschland lebt.
Doch noch immer lehnen 60 Prozent der Deutschen es ab, Sinti oder Roma als Nachbarn zu haben. Und wissen oft gar nicht, dass sie diese schon lange als gute Nachbarn haben. „Diskriminierte Minderheiten passen sich an, um nicht aufzufallen“, so Rose. Und wenn hier die rechtsextreme NPD „nur“ mit Hassparolen gegen Sinti und Roma um Wählerstimmen wirbt, gibt es in den neuen EU-Mitgliedsstaaten wie Bulgarien, Polen oder Ungarn immer wieder gewalttätige Übergriffe. Auch das zeigt diese Ausstellung. [ehu]
Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags jeweils von 10.00 bis 18.00 Uhr. An den Wochenenden ist die Dokumentation von 11.00 bis 18.00 Uhr zu sehen. Am ersten Donnerstag jedes Monats gelten verlängerte Öffnungszeiten bis 22.00 Uhr. Weitere Informationen unter www.nsdok.de.
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