Umland, Düren: Das Thema Weihnachten ist nicht unbedingt ein Schwerpunkt in der Sammlung des Dürener Stadtmuseums. Aber wenn man Objekte und Dokumente zur Geschichte und zum Leben in einer Stadt sammelt und erforscht, bleibt es nicht aus, dass auch das eine oder andere Stück mit weihnachtlichem Bezug auftaucht. So gelang es dem Museumsteam vor wenigen Jahren – im Zuge der Recherchen für die Ausstellung „Heimatfront“, die sich mit der Zeit des Ersten Weltkriegs und dessen Auswirkungen auf das Leben in der Stadt beschäftigt – eine Ausgabe der „Dürener Kriegszeitung“ zu ergattern. Das Titelthema lautete: „Weihnachten 1916“. Gleich auf der Titelseite findet sich ein Artikel, in dem der Autor A. Lüdenbach die Diskrepanz zwischen dem bevorstehenden Fest der Liebe und der Realität des Krieges hervorhebt:
Aber Kriegsweihnachten, wie schwer, wie schwer zum dritten Male. Schweren Herzens muß auch der Priester auf die Kanzel steigen und soll nun die Freudenbotschaft des Engels von Bethlehem melden.“
Im Spätsommer 1914 waren unzählige Soldaten, natürlich auch aus Düren, in den Krieg gezogen. Zu diesem Zeitpunkt war man noch überzeugt, spätestens an Weihnachten des gleichen Jahres wieder daheim zu sein, im Kreise der Familie. Voller Enthusiasmus beschrieb man sogar die Eisenbahnwaggons, in denen Soldaten, Pferde und Waffen an die Front transportiert wurden, mit dieser Botschaft. Doch wie wir heute wissen, nahm die Geschichte einen anderen Verlauf. Noch vier Weihnachten sollten folgen, bis der Krieg beendet war, und auch in den Jahren danach wurden Not und Armut nicht weniger.
Wie also muss es gewesen sein, 1916 – mitten im Weltkrieg – Weihnachten zu feiern, im Wissen, dass Söhne, Ehemänner, Brüder und Freunde an der Front, im Schützengraben, tagtäglich nicht nur gegen Feinde, sondern auch gegen Kälte, Hunger und Krankheit kämpfen mussten? In der Heimat waren die Auswirkungen des Krieges auf das alltägliche Leben zu diesem Zeitpunkt ebenfalls längst zu spüren: Bereits 1914 waren die ersten Störungen bei der Lebensmittelversorgung aufgetreten. Der erhöhte Bedarf des Heeres, der Wegfall von Importen und panikartige Hamsterkäufe führten zu diversen staatlichen Regulierungsversuchen. Zunächst wurden Höchstpreise für bestimmte Lebensmittel festgelegt, dann der durchschnittliche Mindestbedarf der Bevölkerung errechnet und 1915 die ersten Brotkarten ausgegeben. Bis Weihnachten 1916 gab es auch Milch, Wurst, Fleisch, Fett und Eier nur noch gegen solche Lebensmittelkarten.
Zuvor hatte man zumindest noch Haferflockenplätzchen und Kartoffelmakronen backen können, wie ein Rezept aus dem „Deutschen Sparkochbuch für Kriegs- und Friedenszeit“, herausgegeben von Frau B. Löbenberg, belegt. Nun reichten die Vorräte der meisten Familien kaum mehr für weihnachtliches Gebäck, geschweige denn für das (im wahrsten Sinne des Wortes) tägliche Brot.
Doch all diese Entbehrungen, der Hunger und die Kälte waren nicht das Schlimmste für die Menschen, die in der Heimat verblieben waren, denn an Weihnachten besinnt man sich bekanntlich auf das Wesentliche und das war die Sorge um die Soldaten an der Front, deren Fehlen an den Feiertagen am meisten schmerzte. So schrieb die „Dürener Kriegszeitung“:
Sonst war Weihnachten so reich, nun so arm, sonst sahen wir mit freudigem Danke zum armen Kinde in der Krippe, das uns so reich gemacht; nun sind wir selber arm. Doch das ist nicht unsere große Not. Unser Herzeleid in diesen Tagen, wo die Seele nach Freude hungert, ist das Fernsein so vieler von der Heimat in den schmerzlichen Gefilden des Krieges und die Sorge um ihr teures Leben.
Den Menschen blieb kaum genug für sich selbst, geschweige denn, um etwas an ihre Lieben an der Front zu schicken:
Reiche Christbaumgaben können wir nicht schicken – das tut uns bitter leid und weh‘ genug -, aber dennoch wollen wir Gaben des Herzens an euch senden, teure Brüder, der Heimat so fern. – Das erste Geschenk, das wir senden, ist die edle Gabe der treuen, dankbaren Liebe. Wir haben euch dankbar lieb! Millionen Gedankenverbindungen der Liebe und des Dankes gehen aus der Heimat an diesen Feiertagen zu euch hin!
Als wäre all dies nicht schon verheerend genug gewesen, fielen im Winter 1916/17, der als „Steckrübenwinter“ in die Geschichte eingehen sollte, die Temperaturen für mehrere Wochen in den Minusbereich. Die Kartoffeln erfroren auf den Feldern, die Schulen mussten schließen, weil man die Klassenzimmer nicht mehr beheizen konnte. Die allgemeine Knappheit an Lebensmitteln, Heizmaterial und anderen Gebrauchsgütern entwickelte sich zunehmend zur (Hungers-)Not. Auch in Düren konnte nicht einmal der ohnehin schon mehr als knapp berechnete Mindestbedarf an Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung gedeckt werden. Die Dürener Zeitung veröffentlichte in dieser Zeit Rezepte für Kohl- und Steckrübengerichte, die als Ersatz für die fehlenden Kartoffeln dienen sollten, und forderte ihre Leser auf, Obstkerne zur Ölgewinnung zu sammeln, Mehl aus Erbsenschalen, Speisefett aus Rinderfüßen und Seife aus Zigarettenasche herzustellen.
Als 1918 die Fleischknappheit einen neuen Höhepunkt erreichte, wurden in Düren Tauben, Eichhörnchen und Krähen zum Abschuss frei gegeben. All diese Versuche, der Not doch noch Herr zu werden und den allgegenwärtigen Mangel zu bekämpfen, konnten nicht verhindern, dass in Deutschland bis Kriegsende etwa 800.000 Menschen an Hunger und den Folgen von Unterernährung starben.
Doch das wusste der Autor der „Dürener Kriegszeitung“ an Weihnachten 1916 natürlich noch nicht, als er das Leiden und Sterben der Soldaten mit den Opfern von Jesus Christus verglich und ihnen auf diese Weise tatsächlich etwas Positives abgewann. Er schloss seinen Artikel mit den hoffnungsvollen Worten:
Die ganze Welt ist überzeugt, wenn wieder die Weihnachtsglocken läuten, dann künden sie Frieden auf Erden.“
Die „Dürener Kriegszeitung“ und viele andere spannende Objekte und Dokumente aus der Zeit des Ersten Weltkriegs können im Rahmen der Ausstellung „Heimatfront“ noch bis 2018 im Stadtmuseum Düren besichtigt werden.
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