Kall: Der Karnevalszug 1930 in der Aachener Straße kurz vor der Kreuzung der Gemünder Straße. Repro: Reiner Züll/Agentur ProfiPress
„Seit mehr als einem Jahrhundert hat sich der über die Gemeindegrenzen hinaus bekannte Verein der Brauchtumspflege verschrieben. Er leistet damit einen unverzichtbaren Beitrag zur Kultur, zum gemeinsamen Miteinander und zur Fröhlichkeit in unserer Gesellschaft.“ Mit diesen Worten lobt der Kaller Bürgermeister Herbert Radermacher das Engagement des Karnevalsvereins „Löstige Bröder 1904“, der in der kommenden Session 2014/15 auf sein 111-jähriges Bestehen zurückblicken kann. Herbert Radermacher lobt im Vorfeld des Jubiläums auch die herausragende Jugendarbeit des Vereins.
Mit einem großen Jubiläumsabend, in dessen Verlauf die Proklamation der neuen Tollitäten sowie Ehrungen langjähriger Mitglieder stattfinden, beginnt die Geburtstags-Session am Samstag, 15. November, in der Bürgerhalle. Das Kaller Intermezzo-Theater mit Johnnie Wegmann und Stefan Kupp werden dann die 111-jährige Vereinsgeschichte musikalisch Revue passieren lassen. Desweiteren soll ein altes Kaller Karnevalslied Wiederauferstehung feiern. Der musikalisch veranlagte Kappenbruder Matthias Reul hat in der Session 1949/50 die Vereinshymne „Mir sen die löstije Bröder von Kall“ getextet und komponiert. Inzwischen ist dieses alte Lied in Vergessenheit geraten. Nach wochenlangen Proben mit dem Organisten Stefan Kupp werden zehn „Chorknaben“ der Rotröcke die Hymne nach 64 Jahren wieder auf die Bühne bringen.
Herbert Radermacher hat die Schirmherrschaft über die Veranstaltungen anlässlich des närrischen Jubiläums übernommen. In seinem Grußwort weist der Bürgermeister darauf hin, dass „für den Verein selbst zeitweise auch weniger fröhliche und schwierige Fahrwasser zu durchqueren waren“. Er erinnert auch an den Aufwand, den die Karnevalisten stets vor den Veranstaltungen bewältigen. Der Bürgermeister: „Für all dies gilt es, Freiwillige zu finden, die ihre Kräfte und vor allem ihre wertvolle Freizeit einbringen.“
Auch bei der Planung des Festes sind die „Löstige Bröder“ mit Eifer dabei. Bereits seit September 2013 ist ein Festausschuss unter dem Vorsitz des Kaller Journalisten und Vereins-Chronisten Reiner Züll mit der Organisation und dem Ablauf des Jubiläums beschäftigt. Zudem entsteht aktuell eine umfangreiche Festschrift, in der Reiner Züll die bewegte Vereinsgeschichte und Originale des Vereins beleuchtet. „Das Heft wird keine übliche, mit Anzeigen durchsetzte Festschrift, sondern eine anspruchsvolle Broschüre, die die Höhen und Tiefen der 111-jährigen Vereinsgeschichte widerspiegelt“, so Züll.
Den größten Teil der 48-seitigen Schrift nimmt die Chronik der „Löstige Bröder“ ein, wobei das genaue Gründungsdatum nicht feststeht. Zwei Kriege haben dazu geführt, dass alle Gründungsunterlagen verloren gegangen sind. Eine „Caller Rosenmontagszeitung“ aus dem Jahr 1929 ist das älteste vorhandene Dokument. In dieser Zeitung gratulieren die „Löstige Bröder aus Call“ den Gründern ihres Karnevalsvereins mit einem „kräftigen Heil Alaaf“ zum 25-jährigen Bestehen.
In der Chronik ist auch nachzulesen, dass schon vor der Gründung der Löstige Bröder im 1904 Karneval gefeiert wurde. Das belegt der Mechernicher Heimatforscher Anton Könen. In Kall habe bereits 1889 ein Maskenball stattgefunden. Darauf weise eine kleine Anzeige im damaligen Unterhaltungsblatt für den Kreis Schleiden hin. In dieser Anzeige, die in Könens Archiv in Mechernich zu sehen ist, steht zu lesen, dass der Vorstand der „Carnevalsgesellschaft Victoria Call“ für Fastnachtssonntag in den Saal des Hotels Nesgen zu einem großen Maskenball für Jedermann einlädt.
Ein Jahr später habe in Kall ein Karnevalsumzug stattgefunden. Eine Anzeige in dem Unterhaltungsblatt aus dem Jahr 1890 dokumentiere, dass die „Carnevals-Gesellschaft Victoria Call“ für Fastnachtssonntag, 16. Februar 1890, nachmittags um 4 1/2 (viereinhalb) Uhr zur Kappenfahrt und für 7 Uhr zum Ball eingeladen hat. Diese beiden Dokumente sind die einzigen Hinweise auf die Karnevalszeit in Kall vor der Gründung der „Löstige Bröder“. Ob irgendwann aus dem Verein Victoria die „Löstige Bröder“ entstanden sind, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben.
Die Festschrift beleuchtet auch das 50-jährige Bestehen des Vereins im Jahr 1954 und eine Geschichte, die der im Februar 2008 im Alter von 96 Jahren verstorbene Karnevalist Hubert de la Motte immer gern erzählte: Obwohl der Verein kein Geld hatte, sollte zum Geburtstag ein prächtiges Jubiläum gezündet werden. Das Geld dafür pumpte sich de la Motte damals bei seiner Schwiegermutter. Das Feuerwerk wurde oberhalb der Schumacher-Sandgrube von den vereinseigenen Feuerwerkern Klaus Tautges und Feuerwehr-Chef Hermann Abel gezündet. Es geriet außer Kontrolle, so dass das Ergebnis des Feuerzaubers ein heftiger Waldbrand war, den die Feuerwehr in der Nacht löschen musste…
Breiten Raum in der Schrift nehmen die sieben Garden, zwei Solomariechen und zwei Tanzpaare ein. Fast 100 Kinder und Jugendliche sind aktuell im Verein aktiv. Die 1966 vom „Eisernen Gustav“ (Gustav Limburger) gegründeten Kallbachmücken sind die älteste Tanzgarde in der Ringgemeinschaft „Altkreis Schleiden“. Sie feiern 2016 ihr 50jähriges Bestehen. Beleuchtet wird auch die Geschichte der Kaller Möhnen, die sich in den 70-er Jahren zusammenschlossen haben und noch heute auf eine starke Truppe beim Rathaussturm sind. Eine weitere Geschichte erzählt Johnnie Wegmann, der in den 50er Jahren mit seiner Gesangsgruppe „Bella Bimbas“ im Kaller Karneval aktiv war. Sie hatten 1958, als die Sitzungen immer schlechter besucht wurden, mit einem Gerücht die Notbremse gezogen: Johnnie & Co kündigten an, dass die „Bella Bimbas“ bei der nächsten Karnevalssitzung in Kall mit den „Vier Botze“ auftreten würden. Die „Vier Botze“ waren von 1933 bis 1961 eine Spitzengruppe im Kölner Karneval. Als die Sitzung im proppenvollen Saal Gier dann begann, und die Vier Botze angekündigt wurden, erschienen zwei Gesangskollegen von Wegmann mit einem Besenstiel, an dem vier weiße Unterhosen (also vier Botze) hingen. [pp]
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