Heimbach: „Das hier macht mich sprachlos“, meinte Martin Walser mit Blick auf das fantastische Jugendstil-Interieur des Heimbacher Kraftwerks, in dem die Lesung aus seinem neuen Buch „Ein sterbender Mann“ stattfand. Mit respektvoll-amüsiertem Raunen reagierte das Publikum auf diese Äußerung: Schließlich stand Martin Walser, der wortgewaltige „Grandseigneur“ der deutschen Gegenwartsliteratur, vor ihnen. Walser und sprachlos? Niemals.
Im Rahmen der Lit.Eifel stellte er seinen neuen Roman vor, der in enger Zusammenarbeit mit der China-Wissenschaftlerin Thekla Chabbi entstand. „Ich bin ihr für die Mitarbeit an diesem Buch zu großem Dank verpflichtet. Ohne ihre schöpferische Mitwirkung wäre der Roman nicht das, was er ist“, betonte der preisgekrönte Schriftsteller.
Mit Grandezza absolvierte der inzwischen fast 90-jährige Autor seinen Part der Lit.Eifel-Lesung. Auf dem eigens gebauten Bühnenpodest trat Walser ans Pult. Mit dramaturgisch gekonnt eingesetzter Stimme las er fast eine Dreiviertelstunde lang chronologisch aus dem „Lebenssteckbrief“ des 72-jährigen erfolgreichen Geschäftsmanns und „Nebenherschreibers“ Theo Schwadt, der durch den Verrat seines besten Freundes alles verliert. Statt weltweit weiter Patente zu kaufen und umzusetzen, hilft er nun – lebensüberdrüssig – in der Münchner Tango-Boutique seiner Ehefrau Iris an der Kasse aus. Bis zu jenem Tag, an dem die Tango-Tänzerin und Kundin Sina eine „Lichtexplosion“ bei ihm auslöst und er – nach 38 Jahren Ehe – seine Frau verlässt…
Bewundernswert, wie der alte Herr – im wahrsten Sinne des Wortes – die Lesung am Pult durchstand. Während Walser mit seiner rechten Hand Schlüsselszenen immer wieder gestenreich interpretierte und sich beim Lesen von Zeit zu Zeit mit einem Taschentuch kurz über die Lippen wischte, ruhte seine linke Hand fest auf dem Manuskript. Anschließend trat Co-Autorin Thekla Chabbi ans Mikrofon. Sie stellte dem Publikum die sinnlich geschriebene, bunte „Algier-Passage“ ihres gemeinsamen Buches vor. Von seinem Sitzplatz auf der Bühne zwischen den riesigen Turbinen lauschte Walser nun den vertrauten Worten. Mal mit geschlossenen Augen, dann das Kinn nachdenklich auf die Hand gestützt oder gedankenverloren seine gewaltigen, buschigen Augenbrauen ordnend.
Die gegenseitige Inspiration von Jung und Alt war bei diesem literarischen Abend im Heimbacher Kraftwerk zu spüren. Doch auf die, vermutlich schon so oft gestellte Frage, ob denn die im gemeinsamen Roman beschriebene Liebesbeziehung zwischen Theo und Sina auch im wahren Leben authentisch sei, reagierte Walser etwas ungehalten. „Das ist ein Romaaan“, meinte er mit Nachdruck zu Moderator Dr. David Eisermann. Bei der Zusammenarbeit mit Thekla Chabbi handele es sich lediglich um ein „Roman-Verhältnis.“ Im Krimi-Genre sei es heute Gang und Gäbe, dass mehrere Autoren ein gemeinsames Buch verfassen.
Altersweise schmunzelnd fügte er eine Episode hinzu und erzählte, wie er in Bayern das gesamte Buch „eingelesen“ habe. Nach der Tonaufnahme sei der Regisseur dann ins Studio gestürmt und habe erklärt, die Algier-Szene wäre sein Lieblingskapitel im neuen Walser-Roman. Ausgerechnet jene Passage, die ganz aus Thekla Chabbis Feder stammt. „Das Gesicht, das ich da machte, musste ich erst lernen“, gestand der Altmeister der Sprache.
Ob nun noch weitere gemeinsame Projekte folgten, wollte Moderator Eisermann wissen. „Das Wichtigste ist das Ungeplante, das Ungewollte“, antwortete Walser, fügte aber unmissverständlich hinzu: „Einmal reicht.“ Oft habe er seit Erscheinen des neuen Buches hören müssen: „Jetzt ist er so alt, jetzt kann er alleine keine Romane mehr schreiben.“ Jenen Zweiflern beweist er das Gegenteil. Sein nächstes Buch wird schon im Januar erscheinen. Ein „kleines Werk“, um die 150 Seiten, meinte er kokett-bescheiden. Den Titel „Statt etwas“ verriet Walser bereits im Kraftwerk. „Meine Leser haben alles schon gelesen, deshalb bekommen sie nun von mir was Neues.“
Wie denn die literarischen Zukunftspläne von Thekla Chabbi aussähen, hinterfragte Eisermann natürlich auch bei Walsers Co-Autorin, die früher mal mit Schlagersänger Guildo Horn verheiratet war. Ja, sie arbeite momentan an einem Manuskript, wisse aber noch nicht, ob man das jemandem zumuten könne… „Sie tut gerade nur so schüchtern“, versicherte Walser burschikos: „Ich habe die ersten 200 Seiten schon gelesen.“ Vermutlich werde Chabbis Buch ebenfalls im Frühjahr erscheinen.
Mit Engelsgeduld absolvierte das gut aufeinander eingespielte Autoren-Duo nach der Lesung den anschließenden Signier-Marathon. Kein Wunder: Es war ihre 40. Buchpräsentation. Nicht nur im deutschsprachigen Raum. Im vergangenen Monat waren sie auf Einladung des Goethe-Instituts sogar in Shanghai.
Alle Veranstaltung beginnen um 19.30 Uhr. Der Eintritt kostet jeweils zwölf, ermäßigt sechs Euro. Das gesamte Lit.Eifel-Programm und Hinweise zum Kartenvorverkauf finden sich auf www.lit-eifel.de
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