Heimbach: Sein Großvater, 1907 geboren, arbeitete während des Dritten Reichs auf allen Großbaustellen der Region. War dabei, als die Staumauer des Rursees errichtet wurde. Schuftete beim Bau der Ordensburg Vogelsang und warf sich bei der Errichtung des Westwalls ins Zeug. Für ihn bedeutete die wöchentlich gefüllte Lohntüte das finanzielle Überleben der Hasenfelder Familie… Sein Vater, Jahrgang 1939, trat vier Jahre nach Kriegsende 1949 auf eine bislang unentdeckte Schützenmine, die ihn an einem Bein schwer verletzte. Es dauerte vier Jahre, bis der kleine Junge wieder eigenständig laufen konnte… In diesem Spannungsverhältnis der unterschiedlichen Erfahrungen und Wertungen wuchs Mario Cremer, Jahrgang 1967, auf. „Und irgendwann fängst Du dann an, nachzufragen“, beschreibt er sein historisches Interesse. Als 15-Jähriger begann er über die Schlacht im Hürtgenwald zu forschen. „Ich wollte einfach die Wahrheit erfahren“, erzählt der 49-Jährige.
Mittlerweile gilt er in den USA als Hürtgenwald-Experte. Deshalb nahmen die beiden amerikanischen Historikerinnen Dr. Robyn Rodriguez und Dr. Nicole Eilers vor einigen Jahren Kontakt zu ihm auf. Sie sind Teil eines Teams, das das Schicksal der insgesamt 73.000 im Zweiten Weltkrieg noch vermissten amerikanischen Soldaten aufklären will. Und so pendeln sie zwischen den Kontinenten, befragen Zeitzeugen und gehen jeder noch so kleinen Spur nach. „Wenn die Flugzeuge damals über dem Meer abgeschossen wurden, finden wir nach über 70 Jahren keine verwertbaren Hinweise mehr“, erläutert Dr. Eilers. Anders sieht es aber bei der amerikanischen Maschine vom Typ B 17 aus, die am 17. August 1943 von England aus in einem Bomberpulk von 230 Maschinen zu einem Großangriff auf die Schweinfurter Kugellagerfabrik Fichtel und Sachs startete.
An Bord der viermotorigen Maschine, die wegen ihrer technischen Anfälligkeit vom ersten Kommandanten den Spitznamen „Frank’s Nightmare“ (Franks Alptraum) erhielt, zehn junge US-Soldaten. Bereits an der niederländischen Küste wurde der Bomber ein erstes Mal getroffen. Mit den drei, noch funktionierenden Triebwerken konnte das Flugzeug jedoch im Konvoi bis Aachen mithalten. Dort wurde die „fliegende Festung“ von deutschen Jagdfliegern erneut unter Beschuss genommen, geriet ins Trudeln, schaffte es aber noch bis nach Heimbach. Hier – in der Nähe von Kloster Mariawald, zwischen Gut Weimert und Hergarten – stürzte die Maschine um 15.21 Uhr zwei Kilometer westlich von Hergarten aus einer Höhe von 6.000 Metern unter ohrenbetäubendem Lärm in der Gemarkung Fuchsbenden ab. Kurz zuvor gelang es zweien der zehn Besatzungsmitglieder – vermutlich Pilot Arlynn E. Weieneth und seinem Copiloten Eugene D. Cook – das fliegende Wrack mit dem Fallschirm zu verlassen. Das ist sowohl in den deutschen, als auch amerikanischen Kriegsakten archiviert. Viele ihrer Bordkameraden waren zu diesem Zeitpunkt durch den Beschuss schon tot. Bereits 2010 hat Mario Cremer hiesige Zeitzeugen – damals noch Kinder oder Jugendliche – befragt. Belegt ist, dass nur zwei Fallschirme vor dem Absturz gesichtet wurden. Pilot Weieneth, der erst in 400 Metern Höhe abspringen konnte, soll unmittelbar in der Nähe von Mariawald gelandet sein und wurde in dem damals säkularisierten Kloster zunächst verhört. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Co-Pilot Cook landete in Düttling an der Kapelle und wurde bei seiner Festnahme durch einen Hüftschuss verletzt. Er hatte das Glück, bereits am Nachmittag in der Praxis des Gemünder Arztes Dr. Schmitz versorgt zu werden. Danach war er bis Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft, bevor er als einziger Überlebender in seine Heimat zurückkehren konnte. „Seit 1996 standen wir in regem Mailaustausch“, erzählt Mario Cremer, der akribisch alle Daten zusammenträgt. „Bis zu seinem Tod im Oktober 2005 haben wir uns regelmäßig über den Forschungsstand dies- und jenseits des großen Teichs ausgetauscht.“Die sechs aus dem Wrack geborgenen Toten wurden zunächst auf dem Vlattener Friedhof beigesetzt. „In der Grabreihe neun, Gräber a bis f“, weiß Mario Cremer, der diese Details in archivierten Unterlagen der deutschen Luftwaffe entdeckte. Später wurden die Gebeine auf amerikanische Soldatenfriedhöfe in den Niederlanden und Belgien umgebettet oder in die USA überführt.
Nächste Woche fängt Oberstleutnant Mario Cremer, der zuvor in Bonn bei der Bundeswehr stationiert war, seinen Dienst als Ausbilder für Gefechtsführung in Hammelburg an. Nur wenige Kilometer von Schweinfurt entfernt, das vor 73 Jahren Ziel von „Frank’s Nightmare“ war.
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