Roetgen: „Dass es in Roetgen auch ‚Nazis‘ gab, ist unbestritten. Die führende Schicht verschwand ganz schnell, bevor der Krieg das Dorf erreichte; die verbliebenen Mitläufer tauchten unter.“ Seit vielen Jahren versucht der Heimat- und Geschichtsverein – kurz: HeuGeVe – „Licht ins Dunkel“ zu bringen, was aber nicht immer ganz einfach ist. Authentische Aufzeichnungen gibt es fast keine mehr, oftmals werden sie auch ganz bewusst zurückgehalten. Zudem mussten die Autoren erst das Vertrauen der noch lebenden Zeitzeugen gewinnen, bevor sie so manche Ereignisse erzählt bekamen.
Was in dieser Sonderpublikation des rührigen Geschichtsvereins nun veröffentlicht wurde, ist wirklich lesenswert. Ganz bewusst sind die Artikel in der Sonderausgabe in drei Sprachen abgedruckt: In Deutsch, Englisch und Französisch. „Damit jeder was zu lesen hat“, meint Rolf Wilden. Gemeint sind damit die noch damals beteiligten Akteure, beziehungsweise deren Nachfahren aus Deutschland, Amerika und Belgien.
Am 1. September 1939 – vor fast genau 80 Jahren – ließ Adolf Hitler die Wehrmacht in Polen einmarschieren und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. Seine schicksalhafte Reichstagsrede endete mit den Worten: „Ich will jetzt nichts anderes mehr sein als der erste Soldat des Deutschen Reiches. Ich habe wieder jenen Rock angezogen, der mir einst selbst der heiligste und teuerste war. Ich werde ihn nur ausziehen nach dem Sieg, oder ich werde dieses Ende nicht mehr erleben…“
Die fatalen Folgen für ihre Stadt, für die gesamte Region hat der Roetgener Geschichtsverein akribisch recherchiert. Aus gutem Grund, denn Roetgen war die erste deutsche Stadt, die durch amerikanische Truppen vom Nazi-Regime befreit wurde. Zeitzeugen berichten:
Am 8. September 1944 ist das regnerische Wetter der Vortage abgezogen, und ein sonniger, klarer Spätsommertag bricht an. Der Himmel gehört bei diesem schönen Wetter natürlich wieder den alliierten Jagdbombern, die am Nachmittag auch über Roetgen auf der Suche nach lohnenden Zielen herumkurven. Auf der Eisenbahnstrecke Aachen Hbf. nach St. Vith wird der planmäßig für 17.36 Uhr vorgesehene Personenzug auf dem Abschnitt Rothe Erde – [Aachen-]Brand von mehreren amerikanischen Jagdbombern angegriffen.
96 Tage nach der Landung in der Normandie sind die West-Alliierten nun über die Reichsgrenze (von 1937) vorgestoßen und haben Roetgen als erste deutsche Ortschaft oder „town“, wie die Amerikaner sagen, besetzt:
Jene wenigen, die die deutsche Niederlage herbeigesehnt hatten und nach dem 20. Juli noch übrig geblieben waren, atmeten erleichtert auf, als der alliierte Vormarsch am 12. September 1944 die deutsch-belgische Grenze erreichte und bei Roetgen überschritt. Zuvor war das belgische Eupen eingenommen worden. Am gleichen Tag wurden die ersten amerikanischen Panzer auf der Höhe von Petergensfeld gesichtet, dahinter die Fußtruppen mit Schnellfeuerwaffen im lndianerschritt.Die Panzer fuhren in unsere Wiesen und nahmen den aufgewühlten Humus mit auf die Straßen, die im Schlamm versanken. Die Soldaten schliefen in Zelten. Doch das wandelte sich schlagartig, als im November der große Regen einsetzte: Sie verlangten und erhielten jetzt Unterkunft nicht nur in den paar wenigen Wirtschaftssälen, sondern auch in den Privathäusern. Sie kamen von der Front, die sich zunächst noch im Staatsforst von Roetgen, dann im nahen Hürtgenwald gebildet hatte, in Ruhestellung. Noch mehr aber fluteten mit den wachsenden Verstärkungen aus dem Westen in unsere Dörfer und begehrten Quartiere wie die anderen in „private homes“.
Robert Reusen von der „Daily Mail“ titelte in der Ausgabe vom 14. September 1944: „Erste deutsche Stadt gefallen“, und erwähnte, dass die Einheimischen, die in Roetgen noch angetroffen wurden, froh waren, dass ein Kriegsende sich abzeichnete.
Es war uns auch in der Eifel vor Augen geführt worden, wie er – Adolf Hitler – einen solchen Einbruch der westlichen „Hunnen und Barbaren“ verhindern würde: Von 1936 bis 1939 hatten Tag und Nacht die Transport- und Betonmischmaschinen an die Westgrenze gerattert, um die deutsche „Maginotlinie“ mit einem Aufwand zu errichten, der vollauf gereicht hätte, um die gesamte deutsche Wohnungsnot schlagartig zu beheben.
Ganz erstaunt war Rolf Wilden darüber, dass jeder einzelne Betonquader der berühmt-berüchtigten „Höckerlinie“ unterschiedliche Maße hat. „Wir haben demnächst vor, Teile des Westwalls in bunte Tücher zu hüllen“, erzählt er im EIFELON-Gespräch. „Wie gut, dass wir vorher nachgemessen haben…“„Ich bin Zeitzeuge“, betont Rolf Wilden. Angesprochen auf einige Fotos der Dokumentation reagiert er ganz emotional. Damals konfiszierten die amerikanischen Soldaten die weißen Bettlaken der Roetgener Bevölkerung, um sich im Schnee besser tarnen zu können. Die so genannte „bed-sheet-action“. „Ich habe meine Mutter nie so wütend gesehen“, sagt er 75 Jahre später.
Die lesenswerte, gut 70 Seiten umfassende Broschüre ist für 5,00 Euro erhältlich.
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