Mechernich, Glehn: Die Musik der Kapelle des Musikvereins Waldlust Glehn setzt den Marsch der Dorfbewohner in der Abendsonne in Bewegung. Angeführt wird der Festzug vom Junggesellenverein – von der Dorfmitte die Hauptstraße 200 Meter entlang bis zur ersten Abbiegung links. Dort, gegenüber des Gasthauses „Zur Alten Post“, öffnet ein kleines blondes Mädchen das grüne Tor, das in den Innenhof des alten Backsteinhauses führt. Auf dem balkonartigen Vorbau erwartet Familie Münch den Menschenzug, wartet auf das, was vor ihnen liegt, wartet auf die Häusertaufe des Alten Pastorats, Rote Erde 2.
Die Häusertaufe hat in Mechernich-Glehn Tradition: Sie bildet immer dann den Abschluss der jährlichen Kirmes, wenn ein Haus neu gebaut wurde oder eine Familie ein Haus neu bezogen hat und an diesem Brauch teilnehmen möchte. Der Junggesellenverein des 500-Einwohner-Ortes entscheidet zuvor in geheimer, teils reger Diskussion, auf welchen Namen das Haus getauft wird. Schließlich soll er zur Familie passen, die neu in ihm wohnt. So kommt es vor, dass ein Haus bereits mehrere Taufen und mehrere Namenswechsel mitgemacht hat. Das Gasthaus gegenüber des Alten Pastorats beispielsweise bekam den Namen „Zum Bierklopsbäcker“, weil es dort so große Frikadellen zu essen gibt. Seit wann es die Häusertaufe gibt, wissen die Glehner selbst nicht genau. Seitdem sie denken können und davor schon, meint der 50-Jährige Ortsvorsteher Karl-Heinz Seeliger. Im Umkreis gibt es die Häusertaufe nur im benachbarten Berg.
Inzwischen hat die Musikkapelle im Innenhof ein Plätzchen vor Stall und Scheune gefunden und läutet mit dem nächsten Stück die Häusertaufe ein. Das während der Kirmes neu gekürte Hahnenkönigspaar tanzt den Begrüßungswalzer. Auch das hat Tradition. Die Dorfbewohner schunkeln mit oder klatschen im Takt. Dann wird es offiziell. Die Mitglieder des Jünglingsvereins und das Hahnenkönigspaar stehen neben Iris und Roland Münch auf dem Balkon, von dem die Fahne des Vereins nun weht. Tobias Heid vom Jünglingsverein schwenkt seinen Säbel unter dreimaligem Tusch und tauft das Haus auf den Namen: „Zur verstummten, halb selbstgemachten Zahnstein-Bud op der Glehner Kö“.
Der Name bedarf selbst unter den Eingesessenen Erläuterung: Teil 1 „Zur verstummten“ – bis vor Kurzem stand im Obstgarten noch die Feuerwehrsirene, ein Mast mit Sirenen-Pilz. Diesen gibt es jetzt nicht mehr. Teil 2 „halb selbstgemacht“ – Eigentlich hatten sie nur nach einer Ferienwohnung Ausschau gehalten, erzählt Roland Münch, sich dann aber in dieses Haus verliebt und beschlossen, von nun an dort zu wohnen, „wo andere Urlaub machen“. Das war im August letzten Jahres. In nur fünf Monaten hat Familie Münch das Haus von seinem „kariösen“ Zustand befreit, alles saniert und dafür auch die Hilfe von Handwerkern eingeholt. Teil 3 „Zahnsteinbud“ – weist auf den Beruf von Roland Münch, Zahnarzt. Stein steht für die Bausubstanz des Hauses, Backstein. Bud ist Platt für Bude, Haus. Teil 4 „op der Glehner Kö“ spielt auf Düsseldorf an, den vorherigen Wohnort der Familie. Ihr neues Haus in Glehn grenzt an drei Straßenseiten und hat damit den längsten Bürgersteig im Ort, wie der Jünglingsverein findet. Er dokumentiert den Namen auf einer Urkunde und überreicht sie Familie Münch.
Bei untergehender Sonne setzt die Musikkapelle zu einem letzten Ständchen ein und genießt anschließend „Chilli etwas scharf oder richtig scharf“, das Familie Münch für die Feier mit den Bewohnern ihrer neuen Heimat zubereitet hat. Ein kleines Dorf mit großer Gemeinschaft.
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