Mechernich, Kommern: Es ist schon eine ganz besondere Ausstellung, die kürzlich im LVR-Freilichtmuseum Kommern eröffnet wurde: Sie zeigt das Werk des Architekten Otto Bartning (1883-1959), einem der Begründer der Bauhaus-Idee und ein Protagonist des modernen Kirchenbaus. Im Zentrum der Ausstellung steht Bartnings Beitrag zur Entwicklung des seriellen Bauens. „Die Ausstellung wird die Hintergründe des Architekten erläutern“, sagte Dr. Josef Mangold, Direktor des Freilichtmuseums, während der Eröffnung. Kuratorin ist die Bartning-Expertin Dr. Sandra Wagner-Conzelmann, Vertretungsprofessorin für Architektur- und Stadtbaugeschichte an der Hochschule Mainz.
Sie führte die Besucher mit einem kurzen Vortrag in die Ausstellung ein. „Bartning war 1919 entscheidend an der Gründungsidee des Bauhauses in Weimar beteiligt“, erläuterte die Kuratorin. Heute zähle das Bauhaus mit seiner Vielfalt zum kulturellen Erbe der Moderne.
Die Modernisierung der Architektur und der Bauproduktion ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Anliegen der reformorientierten Architekten. Vorbild ist die industrielle Produktion der Automobilindustrie in Amerika. Architekten übertragen die Arbeitszerlegung und serielle Fertigung auf die Bauproduktion in Europa. So entstehen Wohnbauten nach industriellen Herstellungsmethoden. Otto Bartning ist an dieser Entwicklung wesentlich beteiligt. „Er erkannte, dass die Industrialisierung und ihre Folgen das bestimmende Metrum der Zeit seien und plädierte dafür, die Möglichkeiten, die sie boten, in das tägliche Leben, in die Gestaltung der Kunst und in die Aufarbeitung von Architektur einzubeziehen.“Bartning entwickelt richtungsweisende Siedlungs- und Sozialbauten und überträgt die industrielle Produktion auch auf den Kirchenbau – ein revolutionärer Ansatz in den 1920er Jahren. Ein Beispiel dafür ist die Stahlkirche in Köln, die er 1928 für die Ausstellung der Evangelischen Kirche auf der PRESSA in Köln baute. Dafür entwickelt er einen Montagebau aus industriell gefertigten, normierten Doppel-T-Trägern. Zwischen den unverkleideten Stützen werden die Wandteile durch nahezu raumhohe Fenster der Künstlerin Elisabeth Coester geschlossen. Diese werden in der Ausstellung erstmals rekonstruiert. Während der PRESSA wird die Stahlkirche erfolglos zum Verkauf angeboten und schließlich der Melanchthon-Gemeinde in Essen kostenlos übergeben. 1931 wird sie dort wieder aufgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wird sie allerdings zerstört, nur ihre Glocken und das Stahlkreuz haben das Inferno überstanden. Die originalen Glocken der Stahlkirche sind in der Ausstellung zu sehen.
Notkirchenprogramm
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Zerstörung und Obdachlosigkeit der Menschen auch für die Architekten eine große Herausforderung gewesen, erzählte Wagner-Conzelmann. Die Menschen suchten nach Heimat und Identifikation, nach Räumen, wo sie zusammen kommen konnten, um das Erlebte gemeinsam bewältigen zu können. Das Notkirchenprogramm des Evangelischen Hilfswerks von 1946 bis 1953 ist bislang einzigartig in der Welt und typisch für Otto Bartning, der an seine Arbeit immer auch einen hohen sozialen Anspruch stellte.
Notkirchen seien Zelte in der Wüste, sagte Bartning damals. Sie sollten Orte der Zuflucht, der Integration und des gemeinsamen Neubeginns sein. Über 100 Typenkirchen aus vorproduzierten Bauelementen aus Holz entstanden in dieser Zeit. Die Mitglieder der Kirchengemeinden bauten sie auf und ummauerten sie oft mit Trümmersteinen. In ihnen fanden nicht nur die Gottesdienste statt, sondern es gab auch Räume für das Gemeindeleben.
Auch wenn es sich um Typenbauten handelt, hat jede der 100 errichteten Notkirchen ihr individuelles Gepräge“,
erläuterte Wagner-Conzelmann. Viele der Kirchen werden auch heute noch genutzt. Im Rheinland gibt es 14 dieser Notkirchen. Insgesamt sind es 20 Kirchen, die nach Bartnings Plänen gebaut wurden. „Dies ist ein wichtiges kulturelles Erbe, über das das Rheinland verfügt“. Als Teil des Notkirchenprogramms konstruierte Bartning ab 1950 den kleineren Typ Diasporakapelle. Die baulichen und programmatischen Besonderheiten des Notkirchenprogramms, die in der Ausstellung aufbereitet werden, können anhand eines originalen Bauwerks auf dem Museumsgelände nachempfunden werden. Denn 2018 wurde eine Diasporakapelle aus Overath in das LVR-Freilichtmuseum Kommern gebracht und im Juli diesen Jahres eröffnet.
Bartning wird in der Nachkriegszeit zu einer Schlüsselfigur des Wiederaufbaus und zu einer Integrationsfigur. Als Repräsentant wichtiger nationaler und internationaler Organisationen, als Preisrichter in über 60 Wettbewerben und als Gutachter nahm er Einfluss auf gesellschaftlich relevante bauliche Entscheidungen. Auch in der damals größten Architekturschau der Bundesrepublik, der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 in West-Berlin, nahm er eine zentrale Rolle ein. Ein weiterer Fokus der Ausstellung liegt auf der Entwicklung des seriellen Bauens von Wohnbauten auch nach Bartnings Tod im Jahre 1959.
Seit Anfang der 1960er-Jahre finden Fertighäuser guten Absatz, so dass sie auch von Kaufhäusern angeboten werden. Auf dem Gelände des Freilichtmuseums Kommern kann ein originales Quelle-Fertighaus besichtigt werden. In den 1970er- und 80er-Jahren boomt die serielle Bauproduktion. Viele Großwohnsiedlungen – damals sehr gefeiert – werden in diesen Techniken gebaut.
Heute ist das Bauen mit vorgefertigten Teilen Standard. Ein großer Teil der Einzelwohnhäuser, das hippe Tiny House und einige sakrale Neubauten nutzen industrielle Bautechniken. Auch soziale Initiativen greifen auf serielle Baumethoden zurück, um schnell und kostengünstig Wohnraum schaffen zu können. Den Abschluss der Ausstellung bildet ein originales „Little Home“, das als Bausatz entwickelt seit 2016 in Köln Obdachlosen zur Verfügung gestellt wird.
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