Heimbach, Vlatten: „Wär das nicht was für mich“, fragte Frieda Gerda Kolvenbach – von ihren Eltern liebevoll „Friedger“ genannt – vor 75 Jahren und las ihrer Mutter eine Zeitungsanzeige vor: „Burg Vlatten sucht Hausmädchen…“ Im Frühjahr 1941 hatte die 15-jährige Kölnerin – wie damals üblich – nach acht Schuljahren ihr Abschlusszeugnis bekommen und machte sich nun Gedanken über ihre berufliche Zukunft. Als „Tipse“ in irgendeinem Büro wollte sie nicht arbeiten. Und in einer Fabrik? „Um Gottes Willen“, winkt die Seniorin noch heute energisch ab. „Ich wollte raus, an die frische Luft!“
Am liebsten wäre sie natürlich Eiskunstläuferin geworden, denn Ende der 1930er Jahre hatte sie als Kölner Vizemeisterin auf dem Siegertreppchen des neu eröffneten Eisstadions gestanden. Doch der Krieg zerbombte all ihre Träume. Statt Kreise auf dem Eis zu ziehen, fuhr das zierliche Mädchen nun mit Dampflok und Bus von Köln nach Vlatten zum Vorstellungsgespräch. „Am 25. August 1941 habe ich dann hier angefangen“, erinnert sie sich. Griffbereit liegt ihr Album mit alten Fotos auf dem Tisch. Das Benefiz-Fest auf dem Burggelände zum Erhalt der Vlattener Jugendhalle, die in diesem Jahr ihr 100-Jähriges feiert, hat all ihre Erinnerungen wieder wachgerufen.
Zunächst war Friedger Kolvenbach in der Vlattener Burg nur für die Zimmer zuständig. Fürs Aufräumen und Staubwischen. „Allein zum Abstauben des schmiedeeisernen Geländers im dreistöckigen Turm brauchte ich fast eine Stunde.“ Für die vielen Rundungen nahm sie damals – neben Pinsel und Tuch – lieber den Zeigefinger, verrät sie vergnügt. Voller Übermut sei sie als junges Mädchen anschließend bäuchlings auf dem hölzernen Treppenhandlauf ins Erdgeschoss hinuntergesaust: „Das ging viel schneller! Ich durfte mich nur nicht erwischen lassen“, zwinkert sie 75 Jahre später mit immer noch jugendlichem Schalk in den Augen.
Die Vlattener Burg wurde Friedgers zweites Zuhause. Nach kurzer Zeit kümmerte sie sich auch um Küche und Keller. Lernte, wie man Kaninchen schlachtet oder Spalierobst zieht. Und wenn zu Kriegszeiten – im wahrsten Sinne des Wortes – Not am Mann war, kutschierte sie ein Ochsengespann nach Embken, um am dortigen Bahnhof den Dünger für die Landwirtschaft abzuholen. „Das dauerte und dauerte, bis so ein Ochse am Ziel ankommt. Besonders bei der Steigung zurück nach Vlatten“, meint Friedger schmunzelnd und ahmt den trägen Schritt des Rindviechs nach. Temperamentvoller ging es bei einem Fußmarsch nach Bleibuir zu. Dorthin sollte sie – ein Schaf an der Leine – das weibliche Tier zum Besamen bringen. Nach dem vollzogenen Akt sei das Mutterschaf an der Leine allerdings „raderdoll“ gewesen und zerrte das junge Mädchen auf dem Rückweg kreuz und quer. Ein zufällig vorbeifahrender Militärlaster beobachtete das Spektakel und hievte Friedger und den Vierbeiner auf einen leeren Anhänger: „So sind das Schaf und ich mit ‚militärischen Ehren‘ in Vlatten abgesetzt worden“, amüsiert sich die alte Dame noch heute mit ansteckendem Lachen.
Ihre Jugenderinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg sind ins Gedächtnis eingraviert: Die einquartierten Fremdarbeiter auf der Burg, die schnell zu Freunden wurden. „Obwohl es damals politisch strengstens verboten war, aßen wir immer zusammen an einem Tisch in der Küche“, erzählt die fast 90-Jährige und zeigt ein Foto von Malenka, einem jungen, hübschen Mädchen aus der Ukraine. Und wenn die quirlige Kölnerin – trotz aller Kriegswirren – Sehnsucht nach dem Eislauf packte, schlüpfte sie zumindest in ihre Rollschuhe und drehte Pirouetten auf der Terrasse im Park.
Beim Benefiz-Fest „Vlattener für Vlatten“ saß die Seniorin im Schatten der vertrauten Bäume des Burgparks und beobachtete, wie die zahllosen Besucher Schlange standen, um vom Turm aus erstmals den Panoramablick über das historische Dorf zu erleben. Nein, die vielen Turm-Stufen entlang des seit Jahrzehnten vertrauten Geländers hat sie diesmal nicht erklommen: „Das schaffe ich in meinem Alter nicht mehr“, meint sie. Ohne Wehmut, aber wieder mit diesem unvergleichlichen Lachen.
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