Kreise, Kreis Düren: Mit meinem Interviewpartner treffe ich mich am vereinbarten Ort. „Nach Ihnen“, meint der 28-Jährige und hält lächelnd die Tür auf. Schlank, leger gekleidet und sehr aufmerksam sitzt er mir kurz darauf gegenüber. Ein Gespräch wie viele andere? Ganz im Gegenteil. Mein Gesprächspartner ist Mazen H., der vor einem Jahr aus Syrien nach Deutschland flüchtete. Wo anderen Asylsuchenden der Atem stockt, erzählt er ganz bewusst, ganz konzentriert weiter: Vom Krieg in seinem Heimatland und der Todesangst, die ihn auch auf seiner Flucht nach Deutschland begleitete.
Nach seinem abgeschlossenen Englisch-Studium arbeitete Mazen seit 2012 in Damaskus als Dolmetscher – unter anderem bei der kanadischen Botschaft und in großen Hotels. Doch dann wurde der Krieg „heißer und heißer“ sagt er und verbessert sich sofort: „Schlimmer und schlimmer!“ Deshalb sei er in eine Stadt, 90 Kilometer südlich von Damaskus, geflohen. Dort habe er sich zwei Jahre als Nachhilfelehrer durchgeschlagen, bis er 2014 einen Job als Renten-Sachbearbeiter bei einer Gesellschaft für Ingenieure bekommen habe. Doch dann geschah auch dort das Unfassbare: Auf dem Nachhauseweg von einem Freund wurde der junge Mann verschleppt und direkt an der Front gefangengehalten. Erst eine immens hohe Lösegeldzahlung seiner Eltern erkaufte ihm die Freiheit. Äußerlich gefasst schildert Mazen Details seiner Gefangenschaft, doch die Gestik der Hände lässt seine Emotionen erahnen.
„Als ich endlich wieder nach Hause kam, meinte mein Vater, ich müsse sofort das Land verlassen“, fährt Mazen fort, „lieber rede er mit mir nur noch am Telefon, als mich auf dem Friedhof besuchen zu müssen!“ Nach manchen Worten müssen wir während unseres intensiven Gesprächs gemeinsam suchen, aber es gelingt.
Nach dem Appell des Vaters verkaufte der junge Mann sein Auto. Der Erlös von 5.000 Euro war das Kapital für seine Flucht nach Europa. Über den Libanon gelangte er – viele Stationen später – nach Ungarn. Sein Geld war inzwischen auf 1.700 Euro zusammengeschmolzen. Bei einer Nachtwanderung verlor er den Rest der Gruppe aus den Augen. „Dann wurde ich plötzlich umzingelt. Mehrere Männer durchsuchten mich, entdeckten das Geld und riefen die Polizei. Sie behaupteten dann, ich habe ihnen das Geld gestohlen.“ Für fünf Tage landete Mazen in einem ungarischen Gefängnis, bevor er wieder auf freien Fuß kam – ohne Geld und ohne Handy. „Ich konnte noch nicht einmal meine Familie informieren, dass ich noch lebe.“ Ein syrischer Zahnarzt, der ebenfalls auf der Flucht war, borgte ihm 600 Euro. „Heute lebt er in Berlin. Wir haben immer noch Kontakt“, erzählt der junge Mann erleichtert.
Im September letzten Jahres kam Mazen zunächst nach Chemnitz. „Im Osten war es schwer. Ich bin immer wieder auf Vorurteile gestoßen“, fährt er fort. „Wir sind nicht gekommen, um uns durchfüttern zu lassen und den Deutschen Arbeitsplätze wegzunehmen“, betont er. „Wir fliehen vor dem Krieg! Meine Eltern hatten zwei große Häuser, beide sind zerstört. Nun wohnen sie in einer kleinen Mietwohnung“, schildert der junge Mann das Bombardement. Zuhause im Kriegsgebiet leben auch noch seine drei jüngeren Schwestern im Alter von 24, 20 und 14 Jahren. Manchmal tagelang, manchmal monatelang ohne Strom. „Ich will hier in Deutschland aber nicht zuhause sitzen und weinen“, sagt er voller Energie. „Das ist unmöglich für mich. Mein ganzes Leben lang habe ich gearbeitet.“
Mittlerweile wurde sein Status als politischer Flüchtling anerkannt, mit Bleiberecht für drei Jahre. Seit Februar hat er eine eigene Wohnung im Kreis Düren und Anfang September beginnt für ihn der nächste Sprachkurs. B1 – ein nächsthöheres Level. „Mittlerweile verstehe ich 80 Prozent, aber der deutsche Satzbau ist schwer für mich“, meint der ehemalige Sprachstudent lächelnd. „Das braucht noch Zeit.“ Tag für Tag büffelt er die deutsche Sprache. Vieles hat er sich – via Internet – selbst beigebracht. Die Passivität einiger seiner nach Deutschland geflohenen Landsleute kann er nicht nachvollziehen: „Das verstehe ich nicht. Man darf nicht darauf warten, dass man integriert wird. Man muss selber aktiv werden. Lieb das, was Du tust, dann ist es einfach.“
Über die Dürener Gesellschaft für Arbeitsförderung (DGA) hat er inzwischen sein erstes Praktikum bekommen, um im deutschen Alltag auch beruflich Fuß zu fassen. In der Internationalen Kunstakademie Heimbach kümmerte er sich einen Monat lang um Flyer und Plakate. Er koordinierte Veranstaltungen, sorgte für das notwenige Werkzeug bei den verschiedenen Workshops und half, die Bilder der aktuellen Ausstellung zu hängen. „Das war eine tolle Erfahrung für mich. Ich habe hier viel gelernt.“
Mit seinen 28 Jahren baut Mazen auf eine friedliche Zukunft in Deutschland. „Ich möchte einen guten anerkannten Job. Am liebsten als Englischlehrer.“ Rückblickend auf Krieg und Terror, dem er entkommen ist, legt mit einer leichten Geste die Hand auf sein Herz, schaut mich an und sagt: „Ich atme noch. Life goes on.“
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