Eifel: Sie können, wenn sie wollen, eine Strecke von 2.000 Kilometern nonstop in 24 Stunden zurücklegen. Meistens wollen sie aber nicht. Dann fliegen sie „nur“ 500 bis 800 Kilometer am Tag. Wenn die Vögel mit dem langen Hals und den langen Beinen, die während des Flugs über den Schwanz ragen, nicht gerade ihre V-Formation auflösen und im Thermikflug auf Sparflamme kreisen, erreichen Kraniche Geschwindigkeiten von 60 bis 80 Stundenkilometern. Derzeit haben wir das Vergnügen, ihren Flug vom Boden aus zu bestaunen, denn es herrscht Hochreisezeit. Gutes Wetter, also Trockenheit, Rückenwind und klare Sicht, animiert die satten und ausgeruhten Vögel, sich von ihren Rast- und Ruheplätzen zu erheben und schwarmweise über unsere Dörfer, Städte, Täler und Berge zu ziehen, hin zu ihrem Winterquartier: Spanien.
Über Deutschland gibt es zwei Hauptreiserouten: Die Kraniche, die den Sommer in Skandinavien verlebt haben, fliegen über Rügen, der Ostseeküste entlang nach Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu einem See (Lac du Der-Chantecoq) in der französischen Champagne. Das ist die Westroute. Auf der Ostroute fliegen die Vögel, die im Sommer in Polen gebrütet haben, über Berlin, den Harz, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, ebenfalls zu dem See. Hier mischen sich dann die Fluggäste und ziehen weiter nach Spanien, insgesamt über 300.000 Tiere. Seit 2011 schlagen einige wenige Kraniche noch eine neue südliche Route über Deutschland ein: Von den Kranichen aus Ostpolen und dem Baltikum, die Ungarn überfliegen, um den Winter in Äthiopien zu verbringen, zweigen einige in Ungarn ab und fliegen ins spanische Quartier, wobei sie Österreich, Bayern, Schweiz und Italien überqueren. Übrigens: Nicht alle Kraniche machen sich auf die Reise gen Süden. Bei wenig Schnee und Frost, zudem genügend Futter bleiben einige auch bei uns. Tritt dann doch ein harter Winter mit einer geschlossenen Schneedecke ein, fliegen sie später nach Spanien. Im Januar und Februar kann es dann passieren, dass wir Schwärme von Heimkehrern und Wegzüglern sehen.
Zu unserer Augenfreude fliegen die Kraniche in Gruppen. „Die sind ziemlich willkürlich zusammengewürfelt“, weiß der NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Mit zwei Ausnahmen: In jedem Trupp ist mindestens ein älterer Vogel dabei, der die Strecke schon einmal geflogen ist und den jüngeren den Weg weist. Das heißt aber nicht, dass er in der typischen V-Formation immer vorneweg fliegt. Ähnlich wie bei der Tour de France wechseln sich die Vögel an der kräftezehrenden Pole Position ab, um dann im Windschatten der anderen einen erholsameren Flug anzutreten. Zudem fliegen Kranicheltern gemeinsam mit ihren Sprösslingen. Insgesamt bleibt die Gruppe aber nicht über die ganze Reise zusammen, sondern formiert sich nach der Rast neu. Ideal Ruheplätze sind im Herbst Maisstoppelfelder und vor Feinden wie Füchse schützende Flachwassergebiete. Je nachdem, wie ausgeruht und satt der Einzelne ist, machen sich die Gruppen erneut auf den Weg. Sonnenstand und eingebauter Magnetkompass geben die grobe Flugrichtung vor. Das Feintuning übernimmt das Auge. Die Kraniche orientieren sich dabei anhand auffälliger Leitlinien wie Meeresküsten, Flusstälern, Berghängen und sogar Autobahnen. Dabei rufen sich die Kraniche im Flug laut zu. So bleiben sie zusammen oder finden wieder Anschluss.Welche Probleme gibt es für den Kranichflug?
Hier nennt Lars Lachmann Kollisionen mit Windrädern. In der Vogelschutzwarte Brandenburg sind zwar nur wenige Kraniche als Anflugopfer von Windenergieanlagen registriert, die Datenbank enthält vor allem Zufallsbefunde. Nach Einschätzung des Vogelkenners ist die Dunkelziffer jedoch höher. „Es gibt Menschen, die nicht wollen, dass diese toten Vögel unter Windrädern entdeckt werden. Sie entsorgen die Kadaver dann schnell unregistriert.“ Zum Schutz der Kranichschwärme fordert Lachmann bei der Standortplanung von Windanlagen, die Windräder nicht dort aufzustellen, wo viel Kranichzug ist. Auch gehören Windräder nicht in niedrige Passbereiche von Bergketten, weil sich die Kraniche stets den niedrigsten Pass aussuchen, um eine Bergkette zu überwinden. Sie dort aufzustellen, wäre „regelrechte Kranichschredderei“. Die Windräder sollten möglichst entlang und nicht quer zur Flugrichtung der Kraniche aufgereiht werden. Ein Restrisiko bleibt bei Schlechtwetterlage – Nebel, Regen und Gegenwind – weil die Vögel dann tiefer, auf Windradhöhe 100 bis 250 Meter über dem Boden fliegen. Nach den aktuellen Auflagen müssen die Betreiber wohl die Windräder bei Schlechtwetter lokal zwei bis drei Tage für den Kranichdurchzug abschalten. Ob dies in der Praxis immer geschieht, weiß Lachmann nicht.
Jeder von uns kann die Kraniche unterstützen und Kranichzähler werden: Hierzu einfach auf www.nabu-naturgucker.de eintragen, wann und wo man die Vögel beobachtet hat. Die Daten helfen dabei, Windkraftanlagen rechtzeitig abzuschalten. Zum weiteren Schutz der Kraniche gibt es zudem Abstandsempfehlungen von Windrädern von 3.000 Metern um die Kranichschlafplätze, von 6.000 Metern um die Nahrungsflächen und von 500 Metern um die Brutgebiete.
Warum uns Menschen der Zug der Kraniche so fasziniert?
„Es sind tolle und auffällige Tiere, die man von überall mitkriegt“, findet Lachmann. „Wir nehmen sie an Orten wahr, wo wir sonst nicht mit der Natur in Berührung kommen. Kraniche sind außerdem Botschafter aus einer anderen Welt. Das weckt in uns ein Fernwehgefühl.“
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