Eifel: „Ob Segler, Wanderer, Träumer, Maler oder Wetterbeobachter, alle verstehen etwas von Wolken“, weiß Lea Singer. In einem faszinierenden, frei gesprochenen Vortrag widmete sich die Schriftstellerin auf Einladung von Lit.Eifel den flüchtigen Himmelsphänomenen, die seit Jahrhunderten unsere Fantasie beflügeln. Waren diese meist watteweich dargestellten Wolkenberge früher „Vehikel der Göttlichkeit“, wurde der Begriff Wolke in den letzten 100 Jahren „verweltlicht“. Singer erinnerte an die Chlorgaswolken im Ersten Weltkrieg, führte die radioaktiv verseuchte Atomwolke von Hiroshima vor Augen und machte deutlich, dass der Begriff „Cloud“ mittlerweile zum Informationsmedium geworden ist.
Für ihr neues Buch „Anatomie der Wolken“ hat sich die promovierte Kunstgeschichtlerin, die ebenfalls Musik- und Literaturwissenschaft studierte, tief in die Materie eingearbeitet. In der Internationalen Kunstakademie Heimbach sprudelte Lea Singer über vor Informationen. Mal philosophisch, dann wieder wissenschaftlich entführte sie die Zuhörer mimik- und gestenreich in die Welt des alternden Universalgenies Johann Wolfgang von Goethe und des jungen rebellischen Malers Caspar David Friedrich, die 1810 einander begegnen und in spektakulärer Weise „aufeinander rumpeln“.
Wortgewandt stellte Lea Singer den Stoff vor, aus dem ihr neues Buch entstand: Das ambivalente Verhältnis zwischen dem feingeistigen Staatsmann Goethe und dem elementaren Naturtalent Friedrich. Was diese beiden unterschiedlichen Charaktere verbindet, ist die Faszination zur gleichen Frau, der frei schaffenden Malerin Luise Seidler. Nein, eine pikante ‚Menage à trois‘ habe es zwischen diesen drei außergewöhnlichen Menschen nie gegeben, beantwortet Lea Singer eine Frage aus dem Publikum.
Die Fakten zu den Handlungssträngen ihres neuen Romans hat Lea Singer auch diesmal präzise recherchiert: In Archiven, Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechseln prominenter Zeitgenossen der drei Protagonisten. „Die Poesie des Faktischen ist bezaubernd“, resümiert sie. Bei dem historisch belegten Zusammentreffen der Künstler und Kontrahenten stecken beide tief in einer Krise: Goethe hadert mit dem Gedanken, alt zu werden. Akribisch notiert er Zahn- und Verdauungsprobleme. Friedrich kämpft mit permanenten Geldsorgen und weiß nicht, wie er die nächste Miete bezahlen soll…
Obwohl nicht eine Zeile aus dem neuen Singer-Roman gelesen wurde, machte die Vielfalt der Informationen so neugierig, dass sich anschließend eine rege Diskussion mit dem Publikum entwickelte. Die Mehrzahl der Besucher sicherte sich dann ein von der Autorin signiertes Exemplar ihres Romans „Anatomie der Wolken“.
An diesem Abend zog auch Lit.Eifel-Organisator Joachim Starke Bilanz: „Zur Halbzeit unserer Veranstaltungsreihe bin ich voller Begeisterung. Bislang haben wir guten Zuspruch erlebt.“ Zudem hob er das hohe Niveau der agierenden Autoren und das große Publikumsinteresse hervor.
Wer einen der Autoren-Abende selber hautnah miterleben möchte, hat in den nächsten Tagen ein breitgefächertes Angebot. Am Dienstag, dem 9. Juni, wird Thomas Brussig bei einer Lesung im historischen Schienenbus sein Buch „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ vorstellen. In diesem Roman negiert der 1965 in Ostberlin geborene Autor den Fall der Mauer und die deutsch-deutsche Wiedervereinigung. Die DDR existiert einfach immer weiter. Das hat natürlich Konsequenzen für die Menschen in Ost und West. 1991 wird Oskar Lafontaine Kanzler der Bundesrepublik, während auf der anderen Seite alles seinen gewohnten sozialistischen Gang geht… Start dieser außergewöhnlichen Lese-Rundfahrt ist um 19.30 Uhr am Kaller Bahnhof.
Zwei Tage später, am 11. Juni, gastiert Rebecca Maria Salentin in Monschau-Imgenbroich. Auch für diesen Leseabend haben die Organisatoren einen ausgefallenen Veranstaltungsort gefunden. Die in der Eifel gebürtige Schriftstellerin mit teilweise jüdischen Vorfahren wird aus ihrem Buch „Schuld war Elvis“ in den Räumen der Raida Dämmtechnik GmbH, Am Windrad 3, lesen. In ihrem zweiten Roman schildert Salentin das Leben der jungen Hebron in einer Eifeler Großfamilie, beschreibt deren verantwortungsvolle Kindheit und ihre Spurensuche nach der eigenen Herkunft: Hebron begibt sich auf die Suche nach ihrem Vater, der sich kurz nach ihrer Zeugung in den 1970er Jahren in seine Heimat Israel abgesetzt hat…Am 12. Juni kommt Schriftsteller Norbert Niemann zu Wort. Im Eupener „ikob“, einem Museum für zeitgenössische Kunst, wird der 50-jährige Bachmann-Preisträger des Jahres 1997 Auszüge aus seinem Buch „Die Einzigen“ präsentieren: Am Grab ihres ehemaligen Komponisten und Texters treffen sich Harry und Marlene, Exmitglieder der New Wave Band „Die Einzigen“ wieder. Zwischen dem mittlerweile biederen Familienmenschen Harry und der kompromisslosen Musikerin Marlene beginnt erneut eine Beziehung. Niemanns neues Buch ist ein „Künstler- und Liebesroman, durchdringend, klug und sehr unterhaltsam.“Alle Informationen zu den diesjährigen Lit.Eifel-Veranstaltungen finden sich unter www.lit-eifel.de.
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