Eifel: Köln, 20. Juli 1942. „Transport DA 219“ verlässt den Bahnhof Köln Deutz. In ihm sitzen die Brüder Kurt und Rolf Spier aus Köln, das Ehepaar Leiser aus Kerpen mit ihrer Tochter und das Ehepaar Meta und Erich Klibansky mit ihren drei Söhnen. Mit ihnen fahren 1.164 Juden aus Köln und der weiteren Umgebung. Umgesiedelt sollen sie werden, heißt es.
Nach vier Tagen erreicht der Zug Minsk. Alle müssen auf Lastwagen umsteigen. Ziel ist der nahe Wald von Blagowschtschina. Dort werden sie – die Gruben sind schon ausgehoben – erschossen oder schon unterwegs in Gaswagen getötet. Die Leichen werden in Massengräbern verscharrt.
Hier und im nahen Lager Malyj Trostenez wurden zwischen 1942 und 1944 40.000 bis 60.000 Menschen ermordet. Darunter auch 43 Juden aus Euskirchen, 16 aus Zülpich, Gymnich (10), Flamersheim (6), Kommern (12), Kuchenheim (4), Münstereifel (5), Kirspenich (2), Sinzenich (13) und Arloff (4). Im breiten öffentlichen Gedenken und Erinnern spielt dieser Ort eine eher untergeordnete Rolle. Eine Wanderausstellung soll das ändern. Jetzt macht sie Station im Kölner-NS-Dokumentationszentrum.
Ein bemerkenswertes Projekt grenzüberschreitender Zusammenarbeit
Es ist – angesichts der aktuellen politischen Spannungen zwischen Ost und West – ein bemerkenswertes Projekt grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Gemeinsam erarbeitet wurde die Ausstellung vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB Dortmund), der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk (IBB Minsk) und der Stiftung Denkmal für ermordete Juden Europas. Gezeigt wird sie in Weißrussland sowie in Österreich, der Tschechischen Republik und Deutschland, in Städten, von denen aus Juden nach Malyj Trostenez deportiert und dort ermordet wurde. In Deutschland sind es alleine 23 Städte.
Die Ausstellung beginnt mit einem Überblick über den „Vernichtungskrieg“, den das Nazi-Regime gegen die Sowjetunion führte mit dem ausdrücklichen Ziel, ein rassenreines „Großdeutschland“ zu schaffen. Ein Krieg, den die deutsche Wehrmacht mit aller Konsequenz und Brutalität führte – wahrlich keine Leistungen deutscher Soldaten, auf die man stolz sein müsse, wie es jüngst AfD-Parteivorsitzender Alexander Gauland forderte. Aus Anlass dieser Ausstellung sei an diesen Skandal-Satz erinnert.
Die Gaswagen waren als zivile Fahrzeuge getarnt
Dann wird mit Schrift- und Fotodokumenten die „Arbeitsweise“ des Vernichtungslagers geschildert. Dazu gehörten nicht nur die Massenerschießungen und die Ermordung in Gaswagen, die als zivile Fahrzeuge – etwa durch den Schriftzug „Langnese-Eis“ getarnt waren. In einer Scheune wurden auch Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.
Beim Nahen der Roten Armee wurden die Leichen ausgegraben und – um alle Spuren des Verbrechens zu beseitigen – verbrannt. Das geschah jedoch nur unvollkommen. Schon kurz nach der Befreiung konnten Zeugnisse des Völkermords gesichert werden. So fanden sich in einem Grab noch gefüllte Koffer oder Flakons mit Kölnisch Wasser.
In der Folgezeit entstand hier zwar eine Gedächtnisstätte, die aber dem jeweiligen politischen Selbstverständnis der Sowjetunion und nach 1990 von Weißrussland/Belorus entsprach. Auch der unterschiedliche Umgang mit Erinnerung an die verschiedenen Opfergruppen wie Juden, Partisanen oder Kriegsgefangene ist Thema der Ausstellung. 2015 wurde in Anwesenheit von 2016 Staatspräsident Alexander Lukaschenko der erste Teil für ein neues Denkmal eröffnet: „Die Pforte der Erinnerung“ von Bildhauer Konstantin Kostjutschenko. Das endgültige Mahnmal soll den Weg bis hin zum Erschießungsplatz im Wald von Blagowschtschina nachzeichnen.
Die Ausstellung gibt den Opfern einen Namen
Der letzte Teil der Ausstellung schließlich ist den Opfern des größten NS-Vernichtungslagers auf sowjetischem Boden gewidmet. Fotos und Videoaufnahmen geben ihnen einen Namen, ebenso ausgewählte ausführliche Biografien. Fester Bestandteil dabei ist die Biografie von Erich Klibansky. Der Rektor des Kölner jüdischen Jawne-Gymnasiums hatte noch vier Jahre vor seiner eigenen Deportation 130 Kinder mit einem Zug nach Großbritannien retten können. An ihn erinnert heute ein Brunnen auf dem nach ihm benannten Platz, dem ehemaligen Standort des Gymnasiums, an der Helenenstraße.
Auf zwei weiteren Tafeln können an den jeweiligen Ausstellungsorten Menschen vorgestellt werden, die von dort in den Tod deportiert wurden. In Köln sind es die Brüder Spier und die Familie Leiser.[ehu]
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