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Die gefilzten Kinderschühchen kamen von Kirgistan an die Rur. [Fotos: bwp]

Alles Filz oder was? Einblicke in ein uraltes Handwerk

Nideggen: Der jahrhundertealten Tradition des Filzens widmet sich die Sonderausstellung „Alles Filz oder was? – Vom FilzHandwerk des 13. Jahrhunderts zur FilzKunst heute“, die noch bis Jahresende im Nideggener Burgenmuseum zu sehen ist. Wie bei den didaktisch gut aufbereiteten Ausstellungen gewohnt, werden die Besucher bereits vor dem eigentlichen Eintritt ins Museum auf das Thema eingestimmt: Im Vorraum stehen Weidenkörbe voller Rohwolle. Doch bevor dieses Vlies weiterverarbeitet werden kann, müssen die einzelnen Woll-Locken „kardiert“, also gekämmt und gelockert werden. Mit einer hölzernen Handkarde – zwei feinverzahnten Kämmen – können die Gäste diesen Vorgang selber ausprobieren und sich mit Hilfe von Infokarten über die unterschiedlichen Schaf-Sorten – von der Heidschnucke, über das Merino-Schaf bis hin zur Walliser Schwarznase – informieren.

„Filzen gehört zu den ältesten textilen Techniken der Menschheit. Schon im sechsten Jahrhundert vor Christus wurde Kirgistan, im Herzen Zentralasiens, ‚Filzland‘ genannt“, erzählt Museumsleiterin Luzia Schlösser. In vorchristlicher Zeit wurden Wandteppiche aus Filz zur Wärmedämmung eingesetzt. Und im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich der rein funktionale Charakter dieser Wandbehänge zum Statussymbol. Wer es sich leisten konnte, ließ die Wandteppiche kostbar besticken, mit Seidenapplikationen verzieren oder das eigene Wappen einarbeiten.

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Der historische Hirtenumhang (r.) wurde eigens für die Ausstellung aus Filz angefertigt.

Auch die strapazierfähige Alltags- und Arbeits-Kleidung wurde im Mittelalter gefilzt: Socken, Schuhe, Mützen oder so genannte „Gugel“ – kurze Kapuzen-Pellerinen, die lediglich beide Schultern bedeckten – wurden aus gefilzter Wolle hergestellt. Robust und wasserdicht bot solche Kleidung sicheren Schutz vor Kälte, Wind und Regen. Kein Wunder, dass die Jurten und Umhänge der umherziehenden Hirten ebenfalls aus diesem Material hergestellt wurden. Nach historischem Vorbild fertigte die Alsdorfer Filz-Fachfrau Yasmin Groß eigens für die Ausstellung einen historischen Hirtenmantel, wie man ihn heute als „kepenek“ noch im asiatischen Raum trägt. Aus einem Stück gearbeitet, konnte der bodenlange Kapuzen-Umhang als Regenschutz, Ein-Mann-Zelt oder Schlafsack verwendet werden.

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Ein Replikat zeigt Pilgerhüte aus dem 13. Jahrhundert.

Impuls für die neue Ausstellung, erläutert Luzia Schlösser, sei ein langes Gespräch mit der Filz-Künstlerin Thyra Holst gewesen. „Wir kennen uns seit vielen Jahren und während unserer Pilger-Ausstellung standen wir 2014 hier gemeinsam vor den Vitrinen mit gefilzten Pilger-Accessoires…“

Ein Jahr Vorbereitung brauchte es, um das Konzept umzusetzen. In dieser Zeit entwickelte sich ein so reger „schriftlicher Austausch und eine nette Kommunikation“ mit Filzwerkstätten in Usbekistan, Kirgistan und dem türkischen Konya, dass diese bereitwillig Exponate zur Verfügung stellten. Manches als Leihgabe, andere Ausstellungsstücke können im Bestand des Nideggener Museums bleiben. So wie ein in Konya hergestellter Derwisch-Hut aus dem 19. Jahrhundert. „Den dürfen wir behalten“, freut sich die Museumsleiterin und erklärt die Funktion der Kopfbedeckung. Im Alltag und zum Gebet trugen die Mitglieder des Derwisch-Ordens eine niedrige Filzkappe. Bei ihren wirbelnden Kreistänzen setzten die Derwische seit dem 13. Jahrhundert jedoch hohe Hüte auf, um so den Kontakt mit einer höheren Macht herzustellen.

Die uralte Verarbeitungstechnik von Wolle in kostbar verzierte Teppiche – im kirgisischen Raum „Shyrdak“ genannt – gehört seit mindestens 3.000 Jahren zur künstlerischen Identität vieler Volksgruppen und wurde 2012 von der UNESCO in die Liste des „dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen.

Auch 30 moderne Filz-Künstler sagten ihre Mitarbeit bei der Ausstellung zu: So sind in den Museumsräumen und Vitrinen neben den historischen Vorbildern auch Mode, Wandinstallationen oder bunte, zarte, deftige und teils schräge Objekte zu sehen.

Irritierend und gleichzeitig berührend sind die gefilzten Portraits von Demenzkranken, die Sandra Struck-Germann aus Düsseldorf im obersten Stock des Bergfrieds präsentiert. Vor einem der großformatigen Werke steht ein Korb voll gefilzter „Handschmeichler“: Entstanden während der Arbeit mit den Senioren. Wer mag, darf sich eins der wolligen Stücke mit nach Hause nahmen. Ein Stück Erinnerung – gegen das Vergessen.

Die Ausstellung „Alles Filz oder was? – Vom FilzHandwerk des 13. Jahrhunderts zur FilzKunst heute“ kann noch bis zum 31. Dezember besucht werden. Geöffnet ist das Burgenmuseum jeweils dienstags bis sonntags von 10.00 bis 17.00 Uhr. Letzter Einlass: 16.30 Uhr. Der Eintritt für Erwachsene kostet 3,50, ermäßigt 2,50 Euro. Kinder ab sechs Jahren zahlen 1,50 Euro. Eine Familienkarte gibt es für 6,00 Euro an der Museumskasse.

Nähere Informationen sind telefonisch unter 02427 – 6340 erhältlich. Hier kann man sich auch über die aktuellen Workshops – nicht nur zum Thema Filz – informieren.

1.7.2016KulturNideggen0 Kommentare bwp

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