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Lazarettsaal im Waisenheim St. Josef. [Foto: Stadtmuseum]

Eine neue Publikation des Stadtmuseums: „In großer Zeit. Heimatfront Düren 1914-1918“

Umland, Düren: „Die Sperlinge werden sauber wie junge Tauben zugerichtet, in ein wenig Butter gebräunt und mit Suppengrün und Zwiebeln ganz weich gekocht.“ Was sich anhört wie ein schlechter Scherz, war im berüchtigten „Steckrübenwinter 1916/17“ bittere Realität: Der Mangel an Nahrungsmitteln zwang dazu, alles nur halbwegs Verwertbare in die tägliche Versorgung einzubeziehen. Egal, wie hoch der „Nährwert“ wirklich war.

Postkarte zur Frauenarbeit. [Postkarte: Anita Schoeller]

Nahrungsmittel waren aber nicht das Einzige, was in großem Maßstab fehlte. Schon kurz nach Kriegsbeginn im August 1914 zeigte sich, dass das große und vermeintlich mächtige Deutsche Reich auf einen solchen Krieg überhaupt nicht vorbereitet war. Und spätestens mit der britischen Seeblockade wurde deutlich, wie abhängig Deutschland vom internationalen Handel war: Während man Fertigprodukte und etwa Maschinen exportiert hatte, waren große Mengen Nahrungsmittel und Rohstoffe aus dem Ausland gekommen. Diese Warenströme wurden jetzt unterbrochen, schon bald folgten erste Stockungen in Industrie und Landwirtschaft.

Die Menschen in Düren hatten im Sommer 1914 die Ereignisse mit Spannung und wachsender Sorge verfolgt. Vor den Zeitungsredaktionen sammelten sich große Menschenmengen, um nur ja nicht die neuesten Meldungen, Telegramme, Aushänge und Extrablätter zu verpassen. Selbst zur Annakirmes wollte sich keine „echte, rechte Kirmesstimmung“ einstellen. Wie wenig „siegesgewiss“ die Bevölkerung aller offiziellen Propaganda zum Trotz wirklich war, verdeutlichen die massiven „Hamsterkäufe“, die unmittelbar nach der Kriegserklärung einsetzten. Sogar das Kleingeld wurde knapp, weil die Leute dem Papiergeld nicht vertrauten.

Als erste bekamen die Handwerker die Auswirkungen zu spüren. Viele Mitarbeiter wurden eingezogen, Aufträge wurden storniert, Rechnungen nicht beglichen. „Schafft dem Handwerk Arbeit!“, schrieb die Dürener Zeitung schon Mitte August angesichts der sich rapide verschlechternden Situation vieler kleiner Betriebe.

Aber auch viele Industrie-Unternehmen bekamen, wenn sie nicht sofort als kriegswichtig eingestuft wurden, große Probleme. Die Glashütte Peill & Putzler etwa konnte ihre Produktion erst im Spätherbst wieder aufnehmen, indem man medizinische Gläser herstellte. Die Zuteilung von Rohstoffen und Kohlen wurde jetzt staatlich organisiert, zudem waren die Verkehrswege weitgehend von militärischen Transporten blockiert, Telefon- und Telegrafenverkehr unterlagen strengen Beschränkungen. Bei der nicht kriegswichtigen „Dürener Fabrik präparierter Papiere Renker & Co.“ sank unter diesen Umständen der Umsatz auf ein Siebtel der Normalgröße.

Bürgermeister Klotz beim Empfang der Artilleristen. [Foto: Stadtmuseum]

Dadurch schoss zunächst die Arbeitslosigkeit (nicht nur) im Dürener Raum in ungeahnte Höhen. Für diesen Personenkreis, aber auch für die Familien der eingezogenen „Krieger“ organisierte die Stadt jetzt in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Sozialverbänden wie der Caritas und der Diakonie die sogenannte „Kriegsfürsorge“ in Form von finanzieller Unterstützung, aber auch Spenden von Lebensmitteln und Heizmaterial. Im Sommer 1916 wurden zudem mehrere „Kriegsküchen“ (im „alten Gymnasium“, in Nord- und in Ostdüren) eingerichtet, die 1917 insgesamt 458.183 Essen verteilten.

Postkarte zur Warenbewirtschaftung. [Foto: Stadtmuseum]

Der mehr als vier Jahre währende Krieg brachte für die meisten Menschen in Düren eine völlige Umwälzung ihrer bisherigen Lebensumstände. Angefangen vom vielfachen Verlust der Angehörigen durch den Krieg, aber auch durch Krankheit und Mangelernährung, über den ständig wachsenden Hunger, die Kälte wegen fehlender Kleidung und Heizstoffen, das stundenlange Anstehen für Kartoffeln oder einen gebrauchten Mantel, die steigende Arbeitsbelastung und die zunehmende Verwahrlosung der Jugend bis zum Zusammenbruch im November 1918, begleitet von einer monatelang wütenden Pandemie, der „Spanischen Grippe“.

Diesen negativen Erfahrungen stehen aber auch Momente der Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber. Der freiwillige Dienst in den Lazaretten gehört ebenso dazu, wie die zahlreichen Initiativen zur Arbeitsbeschaffung für „Kriegerfrauen“, die Spenden für den „Kriegsgeschenkefond“ des Oberbürgermeisters oder die zahlreichen anderen Sammlungen. Nicht verkennen darf man dabei, dass die finanziellen Mittel meist aus den Schatullen der reichen Fabrikanten stammten und es die „Damen“ der „besseren Gesellschaft“ waren, die den „Frauen“ aus den minderbemittelten Kreisen halfen. Auch so wurden Klassenstrukturen deutlich und verfestigt.

Immer wieder konnte man in Düren, bei entsprechenden Wind- und Wetterbedingungen, das Grollen der Geschütze von der Front vernehmen. Am 1. August 1918 wurde man dann auch tatsächlich zum Frontgebiet: Der erste Bomberangriff auf Düren forderte 17 Todesopfer und läutete, wie ein Menetekel, das baldige und schmerzhafte Ende des Krieges ein.

Über mehr als sechs Jahre hat eine Gruppe von Autoren des Stadtmuseums die verfügbaren Quellen ausgewertet und in insgesamt 54 Beiträgen ein umfassendes Panorama von Düren in jenen Jahren gezeichnet, das auch für jeden Kenner der Stadtgeschichte noch manche überraschende Entdeckung bereithält. Gefördert wurde diese umfassende Rechereche und Publikation von der NRW-Stiftung. [Bernd Hahne, Trägerverein-Vorsitzender des Dürener Stadtmuseums]

3 Bde., zus. 1060 Seiten (keine Abgabe von Einzelbänden), zahlr. Abb., 22,0 x 26,5 cm, fester Einband, 2 Lesebändchen
Inkl. einer CD mit Aufstellung der verstorbenen Militär- und Zivilpersonen der Stadt Düren 1914-1918, Hahne & Schloemer Verlag, Düren 2021, ISBN 978-3-942513-40-1, Preis: 39,95 Euro
5.3.2021LebenUmland, Düren0 Kommentare Gast Autor

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