Umland, Köln: Schon die Kinder sollten mit der nationalsozialistischen Ideologie infiziert werden. Das war die Aufgabe der Hitlerjugend. Doch war sie wirklich die erfolgreiche Kaderschmiede, wie die Propaganda behauptete und wie noch heute – Jahrzehnte später – ihr Bild in der Öffentlichkeit ist? Die neue Ausstellung „Jugend im Gleichschritt!?“ im NS-Dokumentationszentrum will diese Frage beantworten.
„Wie die Hitlerjugend aufgebaut war, wissen wir sehr genau, nicht aber, wie der Alltag in der HJ tatsächlich aussah“, erklärt Projektleiter und Historiker Martin Rüther. Das liege vor allem an der Aktenlage: „Je weiter man in der Hierarchie nach unten geht, desto dürftiger wird sie.“ Vieles wurde gegen Kriegsende verbrannt, wie sich auch der Bonner Eduard Brenner (Jahrgang 1929) erinnert. Er ist einer von 45 Zeitzeugen, die sich bereit fanden, von ihrer HJ-Zeit zu erzählen. Nach 1945, gibt er zu, „hatten wir gar keine Lust, an das, was hinter uns lag, zurückzudenken.“
Die Zeitzeugen stellten oft auch wertvolle Dokumente wie Fotos, Ausweise oder Briefe zur Verfügung. Daraus ergibt sich ein vielfältiges Bild, wie die HJ ihre Mitglieder warb, was diese in ihr fanden und wie die Realität aussah.
Am Beispiel unterschiedlicher „Lebenswelten“ wird das Umfeld der HJ beleuchtet
Die didaktisch hervorragend inszenierte Ausstellung gliedert sich in zwei Teile. Es geht um Organisation und Selbstdarstellung der HJ. Gleichzeitig wird das Vor- und Umfeld ausgeleuchtet und aufgegliedert in „Lebenswelten“ wie Stadt und Land, Familie, Schule, Erziehung, Kirche oder Arbeitswelt. Mit zahlreichen Schrifttafeln und 15 Medienstationen wird das jeweils angepasste Vorgehen der HJ geschildert, auch gegen konkurrierende Angebote von Kirche, Gewerkschaft und Politik für das wachsende Bedürfnis der Jugend nach Freizeitgestaltung.
„Sie fiel nicht vom Himmel, schon die Weimarer Zeit war militaristisch aufgeladen“, sagt Rüther und verweist auf die von weiten Bevölkerungskreisen unterstützte Politik gegen die „Schmach von Versailles“. Hatte die HJ 1932 erst rund 110.000 Mitglieder, waren es sieben Jahre später 8,7 Millionen Zehn- bis 18-Jährige. Beim Bund deutscher Mädchen – BDM – war das Höchstalter 21 Jahre.
Jungen waren stolz auf den HJ-Dolch mit Hakenkreuz und „Blut und Ehre“-Spruch
Waren die Kinder nicht schon durch ihre Eltern ideologisch geprägt, ließen sich andere von Fahrten, von Gemeinschaft und Abenteuerlust locken. Fritz Prediger erinnert sich etwa daran, wie stolz er war, als er den mit Hakenkreuz und dem Motto „Blut und Ehre“ verzierten HJ-Dolch erhielt. Uniformen vermittelten das Gefühl, zu einer großen Gemeinschaft zu gehören – wobei sich viele Familien die teure Ausstattung gar nicht leisten konnten.
„Für Mädchen konnten die Fahrten eine Freiheit bringen, wie sie etwa in kirchlich organisierten Freizeiten nicht denkbar war“, erklärt Rüther – wobei die HJ an den „klassischen“ Geschlechterrollen festhielt: Für Mädchen stand die Vorbereitung auf die Rolle der Mutter und Hausfrau im Vordergrund, bei den Jungen war der Soldat das Ziel – Schießübungen gehörten dazu. Eltern, die dem Eintritt ihrer Kinder in die HJ – ob aus politischen oder religiösen Gründen – zögerlich gegenüberstanden, wurden mit dem Motto „in kameradschaftlicher Verbundenheit“ umgarnt. Das erweckte den Anschein, als arbeiteten Elternhaus, Schule und Hitlerjugend eng zusammen.Die Mitgliedschaft in der HJ erleichterte es, eine Lehrstelle zu bekommen
Dabei war es durchaus möglich, in der HJ und Messdiener zu sein. Wenn sich allerdings Eltern weigerten, ihre Töchter und Söhne in die HJ zu schicken, setzte das NS Regime Druck ein, drohte – insbesondere, wenn die Eltern im öffentlichen Dienst beschäftigt waren – mit Arbeitsplatzverlust. Ein Druckmittel war auch, das Kind verbaue sich die Zukunft, wenn es nicht der HJ beitrete. So gab der Essener Heinrich Bongers (Jahrgang 1921) seine Tätigkeit im katholischen „Bund Neudeutschland“ auf und trat der HJ bei, um eine Lehrstelle bei Krupp zu erhalten. Überzeugung, Anpassung und Widerstand – für alles zeigt diese Ausstellung Beispiele – sowohl individuelle, von Gruppen oder ganzen Organisationen.
Die zweite Abteilung der Ausstellung ist dem weitgehend bekannten hierarchischen Aufbau und den ideologischen Zielen der HJ gewidmet. Doch selbst aus den erhaltenen offiziellen Dokumenten lässt sich ablesen, dass die Organisation nicht so funktionierte, wie es ihre weitgespannte Propaganda verkündete. So fehlte es lange an „geeigneten“ Jungscharführern, die Zahl der versprochenen HJ-Heime wurde bei weitem nicht erreicht. Auch die behauptete einheitliche Uniformierung gab es nicht überall.
Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert. Zielgruppe: Jugendliche. Darauf ist auch die Ausstellungsarchitektur mit Schulbänken (Es wird gerade „Rassenkunde“ durchgenommen…), Kirchenbänken und einer „Esstisch-Ecke“ ausgerichtet. Einen Katalog zur Ausstellung gibt es nicht. Dafür aber ist die komplette Ausstellung im Internet abrufbar: www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_1609_hitlerjugend mit allen Schautafeln, mit Filmen und Zeitzeugenberichten – allein dies sind zusammen 17 Stunden. [ehu]
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Es mag seltsam klingen aber soviel hat sich nicht geandert zu Heute. Mitgliedschaft in einer „Volkspartei“ hilft immer bei der Lehrstellensuche usw., die CDU schreibt sogar Doktorarbeiten fuer den besten Nachwuchs. Jede Gesellschaft hat ihre Eliten gefoerdert und nach oben gehievt…….
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