Umland, Niederlande: Für die meisten von uns war der 18. April vergangenen Jahres ein ganz normaler Samstag, an den wir uns schon gar nicht mehr erinnern können. Nicht so für den heute 15-jährigen Lars Barten. Er hat an diesem Tag einen Coup gelandet: Zusammen mit seinem Vater fand er Knochenteile eines jugendlichen Mosasauriers, einer „Echse von der Maas“, die hier vor 67 Millionen Jahren bei subtropischem Klima im 18 bis 23 Grad Celsius warmen Wasser geschwommen ist. Live können wir jetzt mit bestaunen, wie die Knochen dieses großen Meeresreptils im Naturhistorischen Museum Maastricht präpariert und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Lars war an jenem Samstag mit seinem Vater Jos und der niederländischen geologischen Vereinigung (NGV), Abteilung Limburg, im Maastrichter Steinbruch der Zementfabrik ENCI am Sint-Pietersberg unterwegs. Die Betreiber von ENCI erlauben den Amateurpaläontologen des NGV, einige Male im Jahr in ihrem Steinbruch nach Fossilien zu suchen. (Paläontologen sind Menschen, die sich mit den Lebewesen vergangener Erdzeitalter beschäftigen.) Der 18. April war Saisonstart für 2015. Mit bei der Exkursion war auch der wissenschaftliche Paläontologe Dr. John Jagt vom Naturhistorischen Museum Maastricht.Drei Stunden waren inzwischen vergangen, ohne dass die Fossiliensucher einen nennenswerten Fund gemacht hatten. „Ich habe mich enttäuscht ins nahe gelegene Café gesetzt und einen Cappuccino getrunken“, erzählt John Jagt, als er auf einmal einen Anruf erhielt: Lars Barten hatte Knochen gefunden, die zu einem Mosasaurier gehören könnten. „Wir haben einfach Glück gehabt“, berichtet Lars von seinem Fund. Er ist mit seinem Vater durch den Steinbruch gegangen, und da haben die beiden die Knochenstücke gesehen. Erst ein paar wenige und dann immer mehr. Darunter waren auch mehrere Flossenstücke. Der erfahrene John Jagt wusste sofort, dass diese Anhäufung von Flossenknochen besonders ist, weil sie normalerweise als Erstes vom toten Tier durch Aasfresser abgefressen werden und ganz rasch auf dem Meeresboden weggespült werden. So aber vermutete John noch weitere Knochenreste des Meeresgiganten: „Wären wir Lars Knochenfund nicht noch am selben Tag weiter nachgegangen und hätten mit den ENCI-Betreibern keinen Plan für weitere Ausgrabungen entwickelt, wären die Wirbel vom unteren Rücken und Schwanz sowie Teile des Schädels, die wir in der folgenden Zeit gefunden haben, jetzt zu Zement zermahlen.“
Bereits ein Tag nach dem großen Fund stand fest: Entdecker Lars wird Namensgeber des Mosasaurus und fühlt sich „unglaublich geehrt“. Seine Freunde hätten ihn erst ungläubig angeschaut, als er ihnen vom Fund und der Namensnennung erzählt hatte. Und dann haben auch sie gesehen, dass etwas sehr Besonderes für Lars geschehen ist. „Ein Traum wird für mich und meinen Vater wahr“, schwärmt Lars über ihren Fund. Seit seinem siebten Lebensjahr ist er mit dem „Fossilienvirus“ infiziert, hat Dinosaurier-Bücher aus der Maastrichter Stadtbibliothek gewälzt, sich Filme wie Jurassic Park angesehen und ist gemeinsam mit seinem Vater seit drei Jahren aktives Mitglied im NGV.
„Lars“ selbst ist der sechste Mosasaurus, der seit 1766 im Sint-Pietersberg gefunden wurde. Allein in den letzten 15 Jahren waren es „Bèr“, „Kristine“ und „Carlo“. Er ist vermutlich ein Mosasaurus hoffmanni, die größte Art der Gattung, die eine Länge von bis zu 16 Metern erreichen konnte. Anhand der gefundenen Zähne geht Paläontologe John Jagt davon aus, dass „Lars“ zu den Räubern unter den Mosasauriern gehört, die gemeinsam mit den Haien die Nahrungskette anführten und die vermutlich eine Strecke wie den heutigen Atlantik durchschwimmen konnten. In allen damaligen Erdgewässern waren sie zuhause. Zumindest haben Wissenschaftler auf allen Kontinenten Knochenreste gefunden, sogar unter dem Eis der Antarktis. Da Zähne, Rücken- und Schwanzwirbel kleiner sind als die der anderen Mosasaurier, geht John Jagt davon aus, dass „Lars“ noch ein Jugendlicher war. Weitere Aufklärung erhofft sich der 55-Jährige von den Schädelknochen, sobald diese freigelegt sind.
Diese Freilegung ist besonders: Sie geschieht nicht im verborgenen Kämmerlein, sondern interaktiv mit Zuschauern im Sciencelab des Naturhistorischen Museums Maastricht. Hierhin wurde „Lars“ nämlich transportiert, nachdem John Jagt und sein Team gemeinsam mit freiwilligen Helfern des NGV, darunter natürlich auch Lars Barten und sein Vater, bei glühender Hitze letzten Sommer sämtliche Knochen von „Lars“ ausgegraben und transportfertig gemacht haben. Das heißt, sie haben die Knochen, die mit dem Kalkstein des Steinbruchs fest verkittet sind, nochmals in Gipsblöcke eingepackt, damit sie nicht zerbrechen. John Jagt erklärt, dass das Sciencelab wie ein „Aquarium“ aufgebaut ist, durch dessen Fensterscheiben Besucher in den kommenden Wochen die Paläontologen, angelernten Hobbypaläontologen und Nachwuchspaläontologen dabei beobachten können, wie diese Stück für Stück „Lars“ Schädel mit Pinzetten, Skalpell und anderen Geräten aus dem Gipsblock freilegen und schließlich von dem Kalkstein lösen. Über Mikrofon erklären die Präparatoren den Besuchern, was sie gerade machen und beantworten Fragen.Die Zuschauer haben zudem die Möglichkeit, durch Schalter im Besucherraum vier Kameras fernzusteuern, die an der Decke im Science Lab hängen und somit dicht an die Knochenstücke ranzuzoomen. Bildschirme dokumentieren, wie die Arbeit der Präparateure bereits vorangegangen ist. „Es ist wie ein Blog“, erklärt John Jagt.
Einer der Nachwuchspräparatoren ist natürlich Lars Barten. In zwei Wochen darf er zum ersten Mal ran und unter Aufsicht vorsichtig ein Stück seines „Lars“ freilegen. Zum jetzigen Zeitpunkt schätzt John Jagt, dass noch anderthalb Jahre vergehen werden, ehe „Lars“ schließlich als fertig präpariertes Ausstellungsstück im Museum zu sehen sein wird. Wer den Prozess bis dahin mit begleiten oder zumindest einen Einblick in die Arbeit der Präparatoren erhalten möchte, die in der Regel samstags und sonntags im Sciencelab aktiv sind, nimmt am besten im Vorhinein Kontakt mit dem Museum auf (www.nhmmaastricht.nl, 0031-(0)43 – 3505490, ).
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