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Ausschnitt aus dem Buch-Cover. [Foto: Dürener Stadtmuseum]

Patientin Krankenschwester – Ausfall nicht vorgesehen

Umland, Düren: Die Gesundheitsfürsorge für Ärzte und Pflegepersonal steckte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz in den Anfängen. Von den rund 25.000 im Heeresdienst eingesetzten Ärzten verstarben von Kriegsausbruch bis November 1918 insgesamt 1.724 im Feld, die meisten an Infektionen wie Typhus, Ruhr oder Cholera. Über ernsthafte Erkrankungen des Pflegepersonals ist bis heute nur wenig Konkretes bekannt: Durch Verwundung und Krankheit verloren im Ersten Weltkrieg 863 Mitarbeiter des Roten Kreuzes, darunter 243 Krankenschwestern, ihr Leben. Von 3.000 Etappenschwestern starben 68 an den genannten Seuchenkrankheiten sowie durch Herzschlag, Kohlengasvergiftung und „Überarbeitung“.

Die junge Herta Schüll. [Foto: Dürener Stadtmuseum]

Für Düren ist das Schicksal von Herta Schüll belegt: Während ihre ältere Schwester Erna (später Hinsberg) im elterlichen Lazarett in Birkesdorf Verwundete versorgte, meldete sich Herta Schüll für den Krankenpflegedienst in Herbesthal. Sie war in Gruppe X der Hilfsstelle des Roten Kreuzes eingeteilt und pflegte dort durchfahrende und verwundete Soldaten. Allem Anschein nach infizierte sie sich im Kontakt mit Verwundeten mit Typhus, woran sie am 2. Weihnachtstag 1917 mit 19 Jahren starb.

Obwohl die Truppen, das Personal der Krankenpflege und jenes der Feldeisenbahnen im Krieg fünfmal gegen Typhus geimpft wurden, gab es immer wieder Berichte über neu auftretende Fälle. Außer gegen Typhus wurde nach vorgegebenen Impfplänen auch gegen Pocken und Cholera geimpft. Dass trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen viele Schwestern und Pfleger an Seuchen erkrankten, könnte auch daran liegen, dass manche Ärzte ihrer Impfpflicht nicht oder nur unzureichend nachkamen. Zudem führten Nebenwirkungen mit heftigen Reaktionen auf einen Typhusimpfstoff dazu, dass die Impfungen im Sommer 1916 eine Zeit lang ausgesetzt wurden.

Außer auf Impfungen wurde auf Prophylaxe durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, wie die Verwendung von warmem Wasser, Desinfektionsmitteln und Handschuhen, gesetzt. Dies konnte jedoch nicht verhindern, dass das abgearbeitete Pflegepersonal, das kaum noch Abwehrkräfte hatte, häufig an Infektionskrankheiten litt. Eine durch Bakterien verursachte Lungenentzündung war ansteckend und unter diesen Umständen lebensgefährlich. Im Gegensatz zu den Kriegslazaretten, in denen schwere Verwundungen und akute Seuchen das Hauptproblem darstellten, liefen in den Heimatlazaretten die Patienten durch ihre lange Bettlägerigkeit Gefahr, eine Lungenentzündung als Sekundär-Erkrankung zu bekommen. Sauerstoffmangel und Verschleimung der Lunge sowie ein rapider Kräfteverfall aufgrund von Mangel- und Unterernährung begünstigten dies.

Bei 65 in Dürener Lazaretten verstorbenen Soldaten wurde in 25 Fällen Lungenentzündung als Todesursache vermerkt; die Hälfte waren junge Männer im Alter zwischen 19 und 21 Jahren. Wenn sich bei einer Schwester der Seuchenverdacht bestätigte, wurde sie isoliert und in ein Seuchenlazarett verlegt. Schwerkranke wurden zur Förderung ihrer Genesung in Schwestern-Erholungsheimen in der Etappe und der Heimat untergebracht.

Die junge Krankenschwester überlebte ihre Thyphus-Infektion nicht. [Foto: Dürener Stadtmusuem]

Festzuhalten ist, dass die Verwundetenversorgung nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch seelisch stark belastend war. Der psychische Druck wurde durch verschiedene Faktoren erzeugt: Die vielfach noch sehr jungen Krankenschwestern hatten oft Anordnungen in militärischem Befehlston Folge zu leisten. Hinzu kam, dass sie auf den Umgang mit Sterbenden nicht vorbereitet worden waren, was strapaziös und auf Dauer auszehrend war. Zudem sollten sie den von Familie und Heimat getrennten Soldaten eine familiäre Ersatzwelt bieten.

Da die meisten Schwestern nicht nur aufgrund ihrer Aufgabenstellung, sondern auch persönlich eine starke moralische Verpflichtung fühlten, konnten diese harten Anforderungen ihre eigenen gesundheitlichen Ressourcen übersteigen und sie zusätzlich zu den Gesundheitsrisiken ansteckender Krankheiten und körperlicher Überlastung umfassend krank machen. Derartige Erschöpfungszustände mit der Diagnose „Überanstrengung“ hatten oft eine Depression zur Folge, damals medizinisch als „Melancholie“ bezeichnet.

Zur Veranschaulichung seien hier einige Beispiele aus Tagebüchern von Krankenschwestern angeführt, die zwar nicht aus Düren stammen, aber in ihrer Aussage als allgemeingültig betrachtet werden dürften. Aus einem Kriegslazarett an der Westfront beschrieb Schwester Minna Stöckert in ihren Tagebuchaufzeichnungen vom 2. November 1914 die grausame Realität:

„Unser Lazarett füllt sich immer mehr. Das Jammern und das Sterben zu sehen ist hart. Man hat in der Heimat nicht gedacht, daß es so schwer ist. Wir zogen frohen Mutes hinaus. Jetzt sind wir alle ganz still geworden. Zwei Tage später notierte sie: Fast alle Schwestern sind erkrankt. Unsere Oberschwester hat 40 Grad Fieber. […] Nachmittags bringt uns ein Sanitäter einen Eimer Marmelade, den die Truppen uns geschenkt haben. Große Freude! Nun konnten wir den Verwundeten endlich mal etwas auf das trockene Brot geben! Wir selber aßen nichts davon.

In einem frontnahen Kloster, das als Lazarett diente, notierte die Krankenschwester Jenny Beck 1915: Aber auch unter unseren Schwestern beginnt der Krieg seine Opfer zu fordern. Kaum hatten wir die eine an Typhus Verstorbene in die Erde gebettet, erkrankte eine andere an schweren Kopfschmerzen, der „Genickstarre“. Wenige Tage später erlag sie ihren unsäglich schweren Leiden, die sie tapfer ertragen hatte. Wir betteten sie zur letzten Ruhe, 24 Jahre war sie alt. Irene hieß sie, das heißt „Frieden“. Ich kam sofort darauf sicherheitshalber in die Quarantänestation. An unsere Tür hat man ein Schild geheftet: „Bakterienfressende Menschen“.

Wie sehr hing doch das Überleben vom Zufall ab! Auch Menschen im Krankenpflegedienst waren ihren Normen und tradierten Werten verhaftet, leisteten dessen ungeachtet aber im Rahmen ihrer persönlichen Aufgabenstellung aufopferungsvoll Hilfe.

Kurt Hildebrandt, der als Sanitätsfahrer an der nahöstlichen Front im September 1918 selbst wegen einer Ruhr-Erkrankung in Damaskus in einem Lazarett lag, in dem 5.000 Soldaten von einem Assistenzarzt und ein paar Krankenschwestern „versorgt“ wurden, erlebte wenig später in englischer Gefangenschaft die Zustände in den dortigen Lazaretten als noch drastischer:

Da ich im Sanitätsdienst ausgebildet war, meldete ich mich im letzten Vierteljahr als Sanitäter im englischen Dienste. Wir hatten dort [bei Suez] einige große Zelte, die als Lazarette dienten. Es waren darin ca. 2.000 Kranke. Ich bekam ein Zelt mit ungefähr 50 Desentrie-Kranken [Dysenterie bzw. Ruhr], alles Türken. […] Ich hatte Injektionsspritzen und Medikamente zu verabreichen, ferner die Verpflegung zu verteilen. Ein griechischer Arzt betreute die Kranken. Die Verständigung war manchmal nicht so einfach. […] Wir waren 100 Sanitäter (Deutsche), es starben hiervon an Injektion [!] 32 Mann. Sie wurden außerhalb des Lagers in der Wüste notdürftig verscharrt und später von Hyänen oder Schakalen wieder ausgebuddelt und aufgefressen.

Gewiss waren die Verhältnisse im Feldlazarett und in der Etappe weitaus härter als in der Heimat. Mit welchen spezifischen Problemen die Heimatpflege zu kämpfen hatte und wie diese subjektiv wahrgenommen und verarbeitet wurden, ist in der Forschung bisher jedoch noch kaum erarbeitet. [Christel Kreutzer und Anita Schoeller]

Wie in unserer monatlichen Kolumne „Sonne, Mond und Sterne“ von Astronom Harald Bardenhagen, werden wir nun regelmäßig das Historiker-Team des Dürener Stadtmuseums zu Wort kommen lassen, um ihre Artikel einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen. Schon jetzt bedanken wir uns ganz herzlich für diese wundervolle Zusammenarbeit.

Wer die dreibändige Dokumentation vollständig lesen möchte, sollte sich die Neuerscheinung „In Großer Zeit. Heimatfront Düren 1914-1918“, Verlag Hahne & Schloemer, ISBN: 978-3-942513-40-1, zum Preis von 39,95 Eur0 zulegen. Es lohnt sich. Beigefügt ist zudem eine CD „Verstorbene Militär- und Zivilpersonen der Stadt Düren 1914-1918“

19.3.2021LebenUmland, Düren0 Kommentare Gast Autor

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