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Mal munter, mal melancholisch präsentiert Ulla Haesen den sommerlichen Sound Brasiliens. [Foto: Studio Balsereit]

Köln. Keldenich. Copacabana: Die Musikerin Ulla Haesen

Kall, Keldenich: Sie lebt in der Eifel und liebt die Musik Brasiliens. Ulla Haesen, Sängerin und Gitarristin, hat sich ganz der Bossa Nova verschrieben und sich damit in Deutschland einen Namen gemacht. Was zum einen ihrer meisterhaften Interpretation von Stücken brasilianischer Komponisten wie Antonio Carlos Jobim, Ivan Lens oder Joao Gilberto zu verdanken ist, zum zweiten aber auch der Tatsache, dass die zugleich munteren wie melancholischen Melodien Brasiliens europäische Musikliebhaber ebenso ansprechen wie die Menschen, aus deren Kulturkreis Samba und Bossa Nova stammen. Woran das liegen mag und was Ullas Liebe zur Musik betrifft, darüber hat Archi W. Bechlenberg mit der Künstlerin gesprochen.

Ulla – vier Begriffe der Kategorien “Stadt, Land, Fluss”: Deutschland, Finnland, Brasilien, Eifel. Was verbindet die für dich miteinander?

Meine Mutter ist Finnin, mein Vater ist Deutscher. Wir sind vor circa 37 Jahren von Köln in die Eifel gezogen. Die Nordeifel hat teilweise sowohl landschaftlich als auch klimatisch eine ähnlich raue Ausstrahlung wie Nordfinnland, wenn man mal von der dunklen Winterzeit in Nordskandinavien absieht.
In Brasilien war ich noch nie, habe aber viel davon gehört und aus der Ferne gesehen. Anfang August werde ich zum ersten Mal dorthin fliegen und ich freue mich sehr darauf.

Wie kommt eine Musikerin, die in der beschaulichen Eifel lebt, darauf, die Musik eines so gänzlich anderen Landes, wie es Brasilien ist, zu interpretieren?

In meinem Leben war ich nie an einen festen Ort gebunden. Nach einigen Jahren Norddeutschland habe ich acht Jahre in Italien (Perugia) gelebt und gearbeitet und lebe jetzt seit einigen Jahren teilweise sowohl in der Eifel als auch in Bonn bei meinem Lebensgefährten Klaus Genuit, der auch mein Mentor und Produzent meiner musikalischen Projekte ist.
Eine Verbindung zu Brasilien habe ich erst dadurch bekommen, dass ich vor circa acht Jahren ein sehr ergreifendes Konzert mit brasilianischer Musik erleben durfte, in dem die intensiv zelebrierte Gegensätzlichkeit ‘tristeza – alegria’ mich sehr berührt hatte. Das Konzert-Erlebnis war so einschneidend, dass ich mich seit dem Tag ausschließlich mit dieser Musik beschäftigt habe, ihrer Rhythmik, ihren Harmonien und auch mit der brasilianisch-portugiesischen Sprache.

Bossa Nova und Samba sind die wohl bekanntesten musikalischen Ausdrucksformen Brasiliens, und spätestens seit dem Beginn der 1960er Jahre weltweit bekannt. Was denkst du, ist an dieser Musik so universell? Mit Diana Krall aus Kanada, Lisa Ono aus Japan, der Spanierin Carmen Cuesta oder Lisa Ekdahl aus Schweden, um nur einige zu nennen, gibt es noch weitere Musikerinnen aus ganz anderen Kulturkreisen, die sich der brasilianischen Musik widmen…

Stimmt, auch viele nicht-brasilianische Musiker erliegen der Faszination der Schönheit und Komplexität dieser Rhythmen und Harmonien, die dann mit so beschwingter Leichtigkeit zelebriert werden. Die Anmut der Musik und der Texte ist wirklich unbeschreiblich. Je tiefer man in diese Welt eintaucht, desto mehr gibt es zu entdecken. Gleichzeitig vermag diese Musik, als Bossa Nova und Samba sowohl die Musiker als auch das Publikum zu verzaubern und tiefe Emotionen zu wecken, ohne dass man sich durch großes Drama und Pathos beschwert fühlt. Es bleiben letztendlich Lebensfreude und ein Hauch von saudade – Sehnsucht, die aber in Kombination für Glücksgefühle sorgen. So erleben wir es und auch das Publikum, das Bossa Nova und Samba liebt.

Saudade und Tristeza sind zwei Begriffe, die in der brasilianischen Musik eine tragende Bedeutung besitzen. Saudade steht für Sehnsucht, Tristeza für Traurigkeit, und um diese beiden Gefühle scheint sich alles zu drehen in der Bossa Nova…

Diese beiden Begriffe sind sehr präsent in der brasilianischen Musik, aber auch immer wieder die Hoffnung und Fröhlichkeit. Es ist mir bei unseren Konzerten immer auch wichtig, die Inhalte zu erläutern, so lautet der letzte Satz im Titel ‘O morro nao tem vez’ , zu deutsch ‘Der Berg hat keine Chance’: ‘Toda a cidade vai cantar’, ‘die ganze Stadt wird singen’. Der Berg steht hier für Favelas und um die Problematik, dort zu leben…

In den Favelas von Rio spielt ja auch der Film Orpheo Negro, dessen Musik von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim schlagartig für den weltweiten Siegeszug von Samba und Bossa Nova sorgte…

Genau. Dort, wo Trauer und Freude so sehr aufeinander treffen…Oder nimm den Titel ‘Saudade fez um Samba‘: die Sehnsucht schuf den Samba; genauso ist es, aus der größten Traurigkeit und Sehnsucht entstehen oft die schönsten Momente und Kreationen. Auch beim Titel ‘Abre Alas’, ‚Öffne die Flügel‘ von Ivan Lins wird es deutlich: ‘nao corra o risco de ficar alegre pra nunca chorar’ – “Riskiere es nicht, immer nur fröhlich zu bleiben, um nie zu weinen’.

Sind Melancholie und Sehnsucht auch Teile deiner eigenen Seele? Du wirkst viel eher fröhlich und ausgeglichen…

Ja, sie sind unbedingt auch Teile meiner eigenen Seele, und ich fühle mich vielleicht deshalb gerade in der brasilianischen Musik zu Hause, weil der wundervoll anmutige, leichte und natürliche Umgang mit den dramatischsten Formen der Sehnsucht und Traurigkeit sehr heilend und glücksbringend wirkt. Ich war nie ein Mensch, der sich verstellen wollte und konnte und deshalb ist es für mich auch mittlerweile undenkbar andere Musik zu spielen als diese, in der ich im Grunde das interpretiere, was ich in dem Moment selbst bin, voller Dankbarkeit für die grandiosen Kompositionen, die ich spielen und singen darf. Es hat also auch ganz viel mit Genuss zu tun.

Du hast ja teils finnische Wurzeln – beim Stichwort “Melancholie” muss ich an die Filme des Finnen Aki Kaurismäki denken und daran, dass vor allem in Finnland der Tango, ein durch und durch melancholischer Tanz, so beliebt ist. Mehr noch, der andere Kaurismäki-Bruder Mika lebt sogar seit über 20 Jahren in Brasilien. Da scheint es wirklich emotionale Verbindungen zwischen den Ländern zu geben. Haben die Brasilianer vielleicht zuviel und die Finnen zu wenig Sonne?

Definitiv. Der dunkle lange Winter ist natürlich sehr belastend für Körper und Seele. Wenn die Finnen dann im Sommer zu viel Licht am Stück bekommen – oje Ich liebe meine finnischen Wurzeln, die sicherlich verantwortlich sind für einen regelmäßigen Schub ehrlicher und starker Emotionen. Tatsächlich scheint es da eine Verbindung nach Brasilien zu geben; die vielen Rückmeldungen in diese Richtung lassen das vermuten.

Musikalisch klingen Bossa Novas und mehr noch die Samba eher “sonnig” – denkst du, es kommt auch beim hiesigen Publikum etwas von der “Zwiespältigkeit” dieser Musik herüber? Oder ist dir das eher egal, und es kommt dir mehr auf die Unterhaltung an?

Es geht ja teilweise auch um heftige Beziehungsprobleme in den Songs wie z.B. ‘Incompatibilidade de Genios’ ‘Unverträglichkeit der Charaktere’ von Joao Bosco. Am Ende des Songs steht die Trennung, und das Ganze wunderbar fröhlich vorgetragen im Samba Partido alto. Das möchte ich meinem Publikum natürlich nicht vorenthalten: Trennung ist nicht immer Drama, sondern, hey, es geht weiter und zwar so richtig positiv.

Die Sprache der brasilianischen Musik ist Portugiesisch – war oder ist das für dich eine Herausforderung?

Ich habe schon vorher viel mit Sprachen gearbeitet, ich bin Übersetzerin Englisch-Deutsch, Fremdsprachenkorrespondentin Französisch-Deutsch, Spanisch-Deutsch, habe in Italien studiert und dann als Dolmetscherin gearbeitet, und zweisprachig Finnisch-Deutsch bin ich ja sowieso aufgewachsen.
Es ist immer eine Herausforderung, eine neue Sprache zu lernen: ganz besonders aber beim brasilianischen Portugiesisch ist es mir ein großes Anliegen, es ansprechend und wirklich schön zu singen. Es ist eine sehr ästhetische Sprache und ich habe Respekt vor der brasilianischen Musikkultur. Meine Interpretation ihrer Musik ist eine Verbeugung vor ihr, ich möchte sie ehren und und mit Herz zelebrieren, auf keinen Fall einfach als Abklatsch einer der Original-Interpreten und plattes Unterhaltungsprogramm präsentieren.

Die bis heute wohl bekannteste Bossa Nova Sängerin ist seit den frühen 1960er Jahren Astrud Gilberto, die übrigens deutsch-brasilianische Wurzeln hat. Wenn ich offen sein darf: sie war stets eine lausige Sängerin und noch lausigere Interpretin mit ihrem seelenlosen, blasierten Ausdruck in der Stimme – hat sie für dich eine Bedeutung als Vorbild?

Astrud Gilberto habe ich tatsächlich gar nicht so viel gehört; allerdings schon Rosa Passos, Joyce Moreno, Eliane Elias, Elis Regina und Tania Maria. Es ist sehr faszinierend zu hören wie unterschiedlich sie teilweise dieselben Songs interpretieren und gerade das macht es so spannend: den eigenen Ansatz und die eigene Verbindung zur Musik zu finden und dementsprechend zu spielen und zu singen.

Welche brasilianischen Musiker, also Interpreten und Komponisten, schätzt du besonders?

Ivan Lins, Joao Bosco, Antonio Carlos Jobim, Joao Donato, Lula Galvao, Roberto Menescal, natürlich die oben genannten Musikerinnen, dann Ary Barroso, Carlos Lyra, Emilio Santiago, Marcos Valle … Die Liste ist noch länger, aber ich glaube, das sind die wichtigsten für mich.

Hörst du dich über die Klassiker hinaus auch in heutige brasilianische Musik hinein? Um Neuendeckungen zu machen oder aktuelle Entwicklungen mitzuverfolgen?

Ja, unbedingt: ich höre viel brasilianische Musik und habe gerade auf der CD ‘Abre Alas‘ hauptsächlich hierzulande unbekannte Titel. ‘Quero ouvir Joao’ von Joyce Moreno und Samba de Visón von Ivan Lins sind sogar sehr aktuell. Ivan Lins tourt gerade mit der SWR-Bigband, und auf deren CD ‘Cornucopia’ ist der ‘Samba de Visòn’.
Spielen und singen möchte ich nur Songs, die mich völlig begeistern. Da wird es nie langweilig . Für mein nächstes Album stehen schon vier Titel fest und in Rio werde ich ein paar meiner Lieblingsmusiker treffen, von denen ich einen dafür gewinnen konnte, bei den nächsten Aufnahmen mitzuspielen. Mein Plan ist auch der, für 2016 mit ihm eine Konzertserie hier in Deutschland zu spielen. Lula Galvao hat schon zugesagt. Mal sehen, wie es sich entwickelt.

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Mit dem Sambamobil gehen Ulla Haesen und ihre Crew auf Tour. [Foto: Michelle Fraikin]

Bisher haben wir nur von dir gesprochen – du hast aber einige Musiker um dich herum, ohne die deine Musik sicher eine ganz andere wäre. Kannst du sie einmal vorstellen?

Wilhelm Geschwind ist Bassist mit langjähriger, internationaler Erfahrung, der mich in diesem aktuellen Projekt auf dem E-Bass begleitet; er wohnt ganz in der Nähe hier in der Eifel, und mit ihm spiele und probe ich sehr viel. Er ist mein früherer Gitarrenlehrer. Mit Caterine Valente hat er auch schon gespielt.

Jorge Brasil ist Percussionist mit brasilianischen Wurzeln, der gerade mit Ivan Lins tourt, ansonsten auch mit Größen wie z. B. Lulo Reinhardt, er spielt mit sehr ursprünglichem wie kreativem Ansatz und zählt mit zahlreichen Konzerten, Tourneen, Lehrtätigkeit, Rundfunk, Fernsehen und CD Aufnahmen weltweit zu den besten und gefragtesten Percussionisten in Deutschland. Ein Meister auf allen Percussionsinstrumenten, unter anderem dem seltenen brasilianischen Berimbau und dem Pandeiro.

Lorenzo Petrocca arbeitet seit den Aufnahmen zu „Beleza!“ mit mir zusammen. Er stammt aus Crotone in Süditalien und lebt seit 1979 im Stuttgarter Raum. 2011 gewann er für sein Album „My Music“ den Preis „CD des Jahres“ der Jazzgitarren-Website „Archtop-Germany “ als beste Jazzgitarren-CD.

Außerdem gibt es Gabriel Perez, Arrangeur, Komponist, Flötist und Saxofonist, der mit uns am 13.9. in der Kulturnacht Euskirchen spielen wird. Es gibt da einen Link auf meiner Homepage www.ulla-haesen.de zu ihm, da steht im Einzelnen, was er alles gemacht und errungen hat. So den WDR-Preis für Komposition und etliche CDs.

Das sind jetzt die Musiker aus meiner Stammbesetzung. Zusätzlich gibt es auf der ganz neuen CD Gastmusiker, auf deren Mitwirkung ich sehr stolz bin. Jeder Einzelne ist grandios.

Ihr nehmt Alben auf und seid ständig auf Tournee – ernährt die Musik ihre Leute? Ich frage deshalb, weil ich erst neulich las, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen deutscher Musiker im populären Bereich gerade einmal 11.000 Euro beträgt, und da sind alle Spitzenverdiener mit eingerechnet …

Teilweise gibt es recht schöne Gagen, vor allem aber im Gala-Background-Musik-Bereich, für den sich Bossa Nova auch hervorragend eignet. Ich selbst stecke allerdings zur Zeit so gut wie alles was reinkommt, wieder in die Musik; es ist eine ganz spannende Phase, in der sich viele Kontakte ergeben und da möchte ich auf keinen Fall an Qualität sparen.
Die Clubs zahlen nicht richtig viel, aber wir lieben diese Musik und dieses Projekt und empfinden großes Glück zusammen auf der Bühne zu stehen und begeisterten Applaus zu bekommen, teilweise sogar stehende Ovationen.

Nun, liebe Leser – die nächste Gelegenheit ist in den kommenden Tagen, am 18. Juli im Gasthof Burg Hausen in Heimbach Hausen. Das Ulla Haesen Quartett feat. Lorenzo Petrocca, Jorge Brasil und Wilhelm Geschwind an Gitarre, Percussion und Contrabass. Ulla, dir herzlichen Dank für deine Antworten und auch und vor allem für deine und eure Musik!

Ich habe auch zu danken, Archi!

3.7.2015KulturKall, Keldenich0 Kommentare awb

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