Heimbach, Mariawald: Das Gebäude atmet Stille. Selbstversunken ruht das Gemäuer im stetig fallenden Schnee. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Wie in einem Historien-Film, bei dem jemand mal kurz auf „Pause“ gedrückt hat. Das Standbild verharrt einen Moment regungslos. Zeit, sich intensiv hineinzuversetzen, jedes kleinste Detail betrachten zu können. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
Auf dem verschneiten Weg vom Parkplatz zur Kloster-Pforte fällt auf: Der Pfad zur Kirche ist – selbst bei diesem widrigen Wetter – bereits von vielen Füßen Schritt für Schritt gebahnt worden.
Nach einem feierlichen Gottesdienst am 15. September verließen die letzen Mönche ihr Mariawalder Refugium. Die Zeit steht seitdem still. Der Kalender im Besucherraum zeigt noch den 19. Juli 2018 an. Im Kreuzgang steht in einer Fensternische die handschriftliche Mitteilung, dass Pater Pius am 23. Mai um 15.00 Uhr verstorben ist. Einige Schritte weiter erinnert ein hölzerner Karren daran, dass die Trappistenmönche ohne Sarg beerdigt wurden. Das sei ein Extra-Privileg, das mit dem Land Nordrhein-Westfalen vereinbart wurde. In ihrem weißen Chormantel – “die Farbe Mariens“ erklärt Wolfgang Nowak, Geschäftsführer der weltlichen Belange, – lagen die Verstorbenen drei Tage aufgebahrt und wurden dann auf einem Totenbrett der Erde überantwortet. Bruder Jordan war es damals, der diesen Holzkarren fertigte…
Es berührt zutiefst, dass 30 Tage lang bei allen Mahlzeiten weiterhin für die verstorbenen Mitbrüder der Tisch gedeckt wurde: Ein Brettchen, Blechteller, Besteck und eine Tasse.
Merkwürdigerweise mit zwei Henkeln. Wie eine „Wippe-Dippe-Tasse“ bei kleinen Kindern. Es gibt eine liebevolle Erklärung: „Wir sind alle Kinder Gottes“ soll diese Symbolik verdeutlichen.
In der ehemaligen Klosterküche finden sich die gleichen Trinkgefäße. Manche angeschlagen, teils nur noch mit einem Henkel. Hier drin wurde das Besteck gesammelt. Der große Herd, auf dem die Mönche einst ihre karge, fleischlose Kost kochten. Unwillkürlich fühle ich mich in ein Grimm’sches Märchen versetzt: „Dornröschen“… Alles an seinem Platz, alles flüstert Geschichte und wartet erstarrt darauf, wachgeküsst zu werden.
Es ist kühl. Ich staune über die stille Kargkeit und gleichzeitige Opulenz. Weiß getünchte Altarnischen in der Krypta. Jede mit dem Namen eines Heiligen versehen. Im Beichtstuhl hängt noch eine Stola – so wie der letzte Pater ihn verlassen hat. Glänzende Altarleuchter im Refektorium… altes Leinen… kunstvoll geschneiderte Messgewänder…
Mit Herz und Seele lässt Nowak die Kloster-Historie Revue passieren. Öffnet Türen, gibt ortskundig Blicke frei. Es sind diese kleinen Episoden, die Geschichte nachvollziehbar machen.
Fasziniert tauche ich ein in diese verschwiegene Welt. Die ausgewogene Architektur des ehemaligen Klausurbereichs macht stumm vor Staunen. Filigrane Gewölbedecken – Stein für Stein im 15. Jahrhundert mit dem Zeichen des jeweiligen Steinmetzes signiert… wundervolle Mosaikböden – manche Keramikquadrate rissig und abgetreten, trotzdem voller Farbenfreude. Und dann der kurze Blick ins „Paradies“. So nannten die Mönche den vom Kreuzgang umringten Innenhof des Klosters. Nur eine Tür führte früher hinein zum Brunnen des Atriums, auf den nun lautlos der Schnee rieselt.
„Schweigen fällt oft schwer“, weiß Wolfgang Nowak aus zahlreichen Führungen. So wie bei einer Jugendgruppe, die er ermunterte, nur eine einzige Minute lang nicht zu reden. Rückbesinnung, stille Einkehr.
Wie Phönix aus der Asche, hat sich dieser spirituelle Ort immer wieder „selbst“ erfunden… gefunden… Nach Vertreibungen, Plünderungen oder Bombardement.
„Wir sind einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler in Heimbach“, betont Wolfgang Nowak, der für die florierenden weltlichen Geschicke des Klosters verantwortlich zeichnet. „In den letzten Jahren konnten wir stets Erträge erwirtschaften.“ Doch die weitere Zukunft des Klosters stehe noch in den Sternen. Klar sei jedoch, dass Kloster Mariawald weiterhin ein spiritueller Ort bleiben solle.
Kloster Mariawald. Ein Ort der krassen Gegensätze. Zu Napoleons Zeiten diente die Klosterkirche als Pferdestall. „Zur Blütezeit, vor dem Ersten Weltkrieg, lebten und arbeiteten hier 120 Mönche“, erzählt Nowak. Im Zweiten Weltkrieg war das Kloster Kinderheim, dann Lazarett. Nach dem Krieg wurden von den zurückgekehrten Mönchen auf den Kermeter-Weiden Pferde gezüchtet. Eins dieser grazilen Springpferde schaffte es sogar bis zur Olympiade. Heute grasen im Sommer zwei Kaltblüter vor der charakteristischen Klostermauer – ein beliebtes Fotomotiv für jeden Heimbach-Touristen.
Am Ende seiner Führung sagt Nowak aus vollem Herzen:
Die wirtschaftlichen Betriebe funktionieren und die spirituelle Struktur ist da, dass man weitermachen kann. Die Geschichte von Mariawald geht weiter.“
Ein Zeichen für die andauernde Anziehungskraft des jahrhundertealten Klosters im Kermeter ist die ökumenische „Sternwallfahrt“, die am 15. Juni erstmals nach Mariawald führt.
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