Eifel: „In den letzten Jahren ist die Zahl der Fluginsekten in Teilen Deutschlands dramatisch zurückgegangen, in Nordrhein-Westfalen um alarmierende 80 Prozent“, lautete schon 2016 eine Meldung vom Naturschutzbund Deutschland e.V., NABU.
Was war passiert?
Zwischen 1989 und 2014 hatten Ehrenamtliche des Entomologischen Vereins Krefeld in Schutzgebieten an 57 Fallenstandorten in Nordrhein-Westfalen (die meisten nördlich der Eifel), einem in Rheinland-Pfalz, fünf in Brandenburg, fliegende Insekten gesammelt, ihre Arten bestimmt und sie gewogen. Während sie 1995 noch 1,6 Kilogramm aus den Untersuchungsfallen sammelten, waren es 2014 maximal 300 Gramm. Der Rückgang von bis zu 80 Prozent beträfe etwa Schmetterlinge, Bienen und Schwebfliegen, so Josef Tumbrinck, Landesvorsitzender des NABU NRW.
Unsere Beobachtungen in Nordrhein-Westfalen sind beängstigend. Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in Gefahr: Blumen und Bäume werden nicht mehr bestäubt und Mauerseglern und Schwalben fehlt die Nahrungsgrundlage“,
warnte er bereits 2016. Weder das Klima (die Wetterdaten wurden täglich gewonnen), noch Änderungen der Biotopmerkmale konnten nach der statistischen Bewertung den Großteil der Verluste erklären. Zu weiteren möglichen Einflussfaktoren lagen keine Daten vor, wie etwa der Pestizidbelastung aus direkt umliegender landwirtschaftlicher Nutzung, heißt es auf der NABU-Website. Die Dauerbeobachtung lief noch etwas weiter; die Ergebnisse wurden letzten Herbst im Wissenschaftsjournal PLOS ONE unter dem Titel „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“ veröffentlicht.
Daher sind in diesem Frühjahr Insekten und Bienen auch in der Euregio ein Thema: Der Diözeseanrat der Katholiken im Bistum Aachen hat den umWeltpreis 2018 „summ, summ, stumm?“ ausgelobt (siehe Infobox), Roetgener haben die Initiative „Roetgen summt und brummt“ ins Leben gerufen, mit der sie Insekten unterstützen wollen, ein Lebensmittelgeschäft legte Saattütchen „Schmetterlings- und Bienenwiese“ den abgepackten Äpfeln bei und im niederländischen Maastricht ist vom 21. April bis Mitte Oktober zeitgleich mit anderen Museen die Ausstellung „Nederland Zoemt – een wilde bijen-expositie“ zu sehen (naturhistorisches Museum Maastricht). Da dort nach Presseinformationen die Hälfte der 358 Bienensorten bedroht ist, findet zudem eine nationale Bienenzählaktion statt.
Was bedeuten die Ergebnisse des Entomologischen Vereins Krefeld für unsere Region? EIFELON hat sich bei verschiedenen Gesprächspartnern nach der Lage der Insekten erkundigt.
„Da wir solche Studien nicht gemacht haben, können wir die Krefelder Ergebnisse nicht belegen. Objektiv wissen wir wenig zum Insektenrückgang. Die größte Unbekannte ist dabei die Auswirkung der Pestizide auf Insekten. Subjektiv nehme ich wahr, dass viel weniger Insekten an der Windschutzscheibe kleben als noch vor 30 Jahren“, sagt Stefan Meisberger von der Biologischen Station Euskirchen. Die Station zählt keine Insektenmasse. Sie beobachtet Insekten mit Schutzstatus. In den letzten Jahren konnten die Biologen beispielsweise zwei Schmetterlingsarten nicht mehr beobachten, den Thymianbläuling und den Wundkleebläuling. Diese seien in Nordrhein-Westfalen wohl ausgestorben. Dafür seien mit dem Kurzschwänzigen Bläuling und dem Karstweißling neue Arten hinzugekommen. Die Biologische Station StädteRegion Aachen hat zwar einen guten Überblick auf das Artenspektrum von Insekten wie Käfer, Schmetterling und Libelle, erfasst jedoch ebenfalls nicht systematisch die Insektenmasse und kann das Insektensterben „schlecht spezifizieren“, wie Dr. Bernhard Theißen mitteilt.Mit dem Stand der Honigbienen ist Peter Hendle vom Imkerverein Düren zufrieden: Viele Imker hatten ihre Bienen gut ausgewintert, einige hatten starke Verluste. Beide Gruppen enthielten gleichermaßen Imker aus der Eifel und aus Gebieten mit intensiver Landwirtschaft wie der Zülpicher Börde. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Friedrich Bleckmann vom Imkerverein Schleiden. Insbesondere die Varoamilbe führe zum Tod der Bienen.
Was die Gesprächspartner sehr wohl seit Jahren beobachten, ist Verlust und Zerschlagung von Lebensraum für Insekten: die nächste Wohnsiedlung, der nächste Einkaufspark mit Baumarkt und Discounter und damit der Wegfall von Wiese oder Feld. Auch die industrialisierte großflächige Landwirtschaft, durch die Bauern wirtschaftlich optimiert düngen, säen und spritzen, nimmt Insekten Lebensraum und Futter, da etwa blühende Wildkräuter durch das Spritzen absterben. „Die wenigsten Insekten kommen mit solchen Feldern zurecht“, sagt Theißen von der Biologischen Station StädteRegion Aachen. Insekten bräuchten von Frühjahr an bis in den Herbst Blühflächen, fordert Imker Hendle. Sein Kollege Bleckmann verweist auf die großflächigen Felder mit Raps in der Zülpicher Börde. Wenn der verblüht sei, hätten die Insekten kaum mehr etwas zu fressen.Was tun?
Der NABU möchte nun erstmals deutschlandweit erfassen, wie häufig und vielfältig Insekten vorkommen. Jeder kann bei der Aktion „Insektensommer“ mitmachen. Pro Meldezeitraum gibt der NABU acht Arten vor, nach denen die Teilnehmer auf jeden Fall schauen sollten. Weitere Informationen finden Interessierte unter Insektensommer.
„Der Großteil unserer Arbeit hat positive Effekte für die Insekten“, sagt Stefan Meisberger. Im Alltag setzen sich die Biologischen Stationen für den Erhalt der Insekten in unserer Region ein und arbeiten im Vertragsnaturschutz eng mit Landwirten zusammen: Die Bauern bewirtschaften ihre Flächen nach bestimmten Vorgaben. Sie düngen Wiesen nicht und mähen später, sie halten einen doppelten Saatreihenabstand im Getreide ein und verzichten auf Pflanzenschutzmittel und Dünger, oder sie lassen einen Teil ihrer eigentlichen Nutzfläche brach liegen. Im Gegenzug erhalten sie Steuergelder in Form von Ausgleichszahlungen insbesondere aus den Töpfen der EU, aber auch vom Land NRW und ein wenig vom Kreis. Etwas mehr als eine Million Euro gehen im Kreis Euskirchen an rund 320 Landwirte, die sich an den Projekten beteiligen. Was als reiner Ausgleichsfaktor gedacht ist, stocke manchem Bauern das monatliche Einkommen auf, da die Gelder unabhängig von dem Ertrag eines Jahres und den Marktschwankungen gezahlt würden, so der Biogeograf. Knapp 3.000 Hektar Grünland und Ackerflächen werden im Vertragsnaturschutz bewirtschaftet; Euskirchen ist damit Landesmeister in NRW. Der Zustand einiger Biotope sei inzwischen viel besser als vor 30 Jahren. Dennoch sind die Vertragsnaturschutzflächen bei gut 1.630.000 Hektar Gesamtagrarfläche im Kreis nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Andere Ereignisse, etwa, dass Gülle aus den Niederlanden stellenweise auf Grünland in der Eifel aufgebracht wird, stünden im Gegensatz zu den Biotoppflege-Erfolgen. Folglich verschlechtere sich die Situation vor allem außerhalb der Schutzgebiete zusehends, so Meisberger. Positive Effekte des Vertragsnaturschutzes erlebt Imker Hendle mit seinen Bienen. Viele Insekten und viele verschiedene Arten hat er letzten Sommer auf einem brach liegenden Feldstück gesehen, auf dem der Bauer einzig verschiedene, zeitlich nacheinander blühende Pflanzensorten einsäte. Das Stück gehört dem Landwirt Wilhelm-Josef Schäfer. Er nimmt an verschiedenen Programmen des Vertragsnaturschutzes teil, sieht allerdings Verbesserungsbedarf: Die vorgegebene Saatgutmischung aus Gräsern und Blühpflanzen verspräche nur im ersten Jahr den gewünschten Effekt einer blühenden Landschaft; bereits im Folgejahr dominierten zum Nachteil der Insekten die Gräser.Auf Anfrage von EIFELON teilt René Mause von der Biologischen Station im Kreis Düren mit, dass es für die Vertragsnaturschutzflächen strenge Vorgaben vom Land bei der Zusammenstellung des Saatgutes gebe, welche Arten in welchem Samenanteil verwendet werden dürften. Das Problem sei aber bekannt und werde bearbeitet: In diesem Jahr etwa werde die Landwirtschaftskammer auf ihrem Versuchsbetrieb in Kerpen-Buir verschiedene Mischungen ausprobieren und dokumentieren, welche Mischung möglichst lange blühfreudig bleibe. Auch die Biologische Station habe von Jahr zu Jahr Arten aus der Mischung genommen, andere hinzugefügt, Mengenanteile verändert.
Landwirt Wilhelm-Josef Schäfer kritisiert ebenfalls die Politik, die es zulasse, dass etwa Argentinien Biodiesel und Sojaschrot aus seinem größtenteils gentechnisch veränderten Sojaanbau zu Billigpreisen oder andere Länder Raps nach Deutschland exportierten. Für Bauern hierzulande lohne es sich derzeit kaum, Raps für Biodiesel und als Tierfutter anzubauen. Bei uns aber setze man auf Umweltschutz und sei gegen die für den Landwirt kostengünstigere Produktion von gentechnisch veränderten Pflanzen, so Schäfer. Er befürchtet ein Verschwinden der Rapsfelder und damit den Verlust einer weiteren Nahrungsquelle für Insekten.
Die Landwirte heute sind Teil der Agrarindustrie. Viele sind den Zwängen der Wirtschaftspolitik unterworfen. Oftmals hecheln sie den Vorgaben der Politik hinterher. Auf Ökolandbau umzustellen, trauen sich die wenigsten“,
sagt der Aachener Biologe Theißen. Wer seine Felder ökologisch verträglich bewirtschaftet, sollte mehr Geld erhalten oder aus der Konkurrenzsituation herausgenommen werden, findet Imker Bleckmann. Imker Hendle sieht auch den Verbraucher in der Verantwortung, der „viel für wenig Geld kaufen“ wolle.
Der Verbraucher kann neben dem Kauf von Bioprodukten (im Biolandbau dürfen keine Pestizide eingesetzt werden) bereits daheim einiges für die Insekten tun, etwa Insektenhotels aufstellen, Wildblumen für Garten oder Balkon pflanzen, auf Kiesaufschüttungen verzichten, den Rasen nicht auf einmal mähen und Blühstreifen stehen, sowie Totholz liegen lassen. Weitere Tipps finden Interessierte im Bienenlexikon des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft oder unter blütenbunte Balkonbepflanzung. Biologische Stationen in der Nordeifel haben außerdem das Projekt „Dorfbiotop“ ins Leben gerufen, um die Artenvielfalt in den Dörfern mit Blüten, Strukturen und offenen Bodenstellen zu fördern.
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