Bad Münstereifel: Was alle Naturschützer und offensichtlich auch die meisten Juristen wussten, hat nun das Verwaltungsgericht Gießen aufgrund der Klage des bundesweit anerkannten Umweltverbandes Naturschutzinitiative e.V. (NI) bestätigt: Die Ausnahme vom Tötungsverbot nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist rechtswidrig und „darf nicht angewandt werden“.
Ein Beitrag, erschienen auf der Webseite der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V. (EGE) in Bad Münstereifel, fasst das richtungsweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen zusammen: Diese Ausnahmeregelung, den Tod von Vögeln in Windanlagen billigend zu Gunsten des Klimaschutzes, in Kauf zu nehmen, ist rechtswidrig und verstößt gegen die vorrangigen europäischen Vogelschutzrichtlinien.
Unabhängig davon, ob es sich um eine streng geschützte Vogelart handelt oder nicht. Dieses Urteil widerspricht auch den aktuellen Versuchen der alten Umweltverbände, den Ausbau der Windenergie durch eine Lockerung des Tötungsverbotes zum Nachteil des Naturschutzes zu betreiben:
Das Verwaltungsgericht Gießen ist am 22.01.2020 zu einem bemerkenswerten Urteil gelangt: Das Land Hessen habe eine Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot für den Betrieb von drei Windenergieanlagen zu Unrecht erteilt. Geklagt hatte die Naturschutzinitiative e. V. Das Gericht sah eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für im Anlagenumfeld brütende Wespen- und Mäusebussarde als gegeben an. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Tötungsverbot lägen nicht vor. Die Beklagte (das Land Hessen, die Red.) hatte die Ausnahme auf § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG gestützt, d. h. mit zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses begründet. Das Gericht hält diesen Ausnahmegrund nicht für vereinbar mit Art. 9 Abs. 1 der EG-Vogelschutzrichtlinie und beruft sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 26.01.2012 – C-192/11 gegen die Republik Polen. Auch eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Nr. 4 BNatSchG käme nicht in Betracht. Mit einzelnen Windenergieanlagen werde die Situation der Umwelt nicht unmittelbar und konkret verbessert, so dass die Zulassung von Windenergieanlagen auch nicht unter den Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 Nr. 4 BNatSchG falle.
Für das Gericht sei auch nicht erkennbar, dass ohne Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie nicht mehr gewährleistet werden könne. Das beklagte Land habe dieses Argument zwar angeführt, ohne jedoch nachvollziehbare Ausführungen hierzu zu machen. In Anbetracht des Umstandes, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit nahezu 20 Jahren eine Stromüberproduktion erfolge, sei eine solche Annahme auch mit Blick auf die absehbare Zukunft nicht zu befürchten. Deutschland habe im Jahr 2019 ca. 37 Milliarden Kilowattstunden Strom mehr exportiert, als es importierte. Es sei nicht ernsthaft zu befürchten, dass die Einhaltung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie zu einem Energieversorgungsengpass in der Bundesrepublik Deutschland führe, so das Gericht. Denn die Einhaltung der Richtlinie bedeute lediglich, dass dort keine Windenergieanlagen errichtet werden dürften, wo dies zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos führen würde. Auch wenn dies die Standortwahl einschränke, bliebe die Gewinnung erneuerbarer Energien durch Windenenergieanlagen weiterhin möglich. Klimapolitische Zielsetzungen eines Mitgliedstaates müssten außer Betracht bleiben, soweit sie mit geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang stünden.
In der Windenergiewirtschaft ist das Urteil mit Bestürzung aufgenommen worden. Man kann annehmen, dass das Land Hessen gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Wie die Sache ausgeht, ist ungewiss. Vorhersehbar ist indessen zweierlei. Politik und Verwaltung werden noch mehr als bisher alles daransetzen, die Liste der an Windenergieanlagen kollisionsgefährdeten Vogelarten rigoros zusammenzustreichen und die Bedingungen für das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos so zu definieren, dass sie möglichst selten erfüllt sind. Zudem ist mit einem deutschen Vorstoß auf Gemeinschaftsebene zu rechnen, die Europäische Union solle das Gemeinschaftsrecht deutschen Vorstellungen anpassen. Die Deutschen könnten dafür ihre Ratspräsidentschaft nutzen, die sie im Juli 2020 antreten. Das Urteil ist auch für die deutschen Umweltvereinigungen unbequem, haben sie doch erst kürzlich ihre Zustimmung für den Weg in artenschutzrechtliche Ausnahmen für einen forcierten Ausbau der Windenergiewirtschaft erklärt. (Gastautor)
http://www.egeeulen.de/index.php
Das Urteil im Wortlaut:
Pressemitteilung Naturschutzinitiative:
Bisher 1 Kommentar
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Das erstinstanzliche Urteil betrifft aber zunächst mal nur, wenn es Rechtskraft erlangt, das Land Hessen.
Bis zu einer bundesweiten Relevanz ist es aber noch ein gutes Stück. Die Frage ist, wie interessant ist das für NRW. Aufgrund der durch die Landesregierung festgelegten 1500 m Abstandsregelung für WindEnergieAnlagen hat sich das m.E. vorläufig eh erledigt. Das insbesondere auch, weil unser etwas hilflos wirkender Bundeswirtschaftsminister den schwarzen Peter bei der Abstandsregelung endgültig den Ländern zugeschoben hat.
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