Eifel: Der geologische Dienst NRW ist besorgt. Die immer zahlreicher in Nordrhein-Westfalen aufgestellten Windräder sorgen für Störungen des landesweiten Erdbebenalarmsystems (EAS). Es ist der niederfrequente Schall – zwischen 0,5 und 10 Hertz – der Windräder, der beim Betrieb entsteht und sich über die Fundamente der Großanlagen an die umgebenden Gesteinszonen überträgt. So registrieren die seismischen Messgeräte die Infraschallwellen einer laufenden Windanlage mühelos bis zu einer Entfernung von zehn Kilometern.
Da es dabei ja nicht um eine einzelne, sondern um viele Anlagen geht, entsteht ein diffuser unterirdischer Geräuschteppich, der die natürliche Wahrnehmung einer geologischen Erschütterung zunehmend erschwert. Ein „Grundrauschen“ aus Windanlagenfrequenzen überlagert die tektonischen Informationen. Es wird deshalb immer schwieriger, das Epizentrum eines Erdbebens zweifelsfrei festzustellen. Ebenso steigt das Risiko von Fehlalarmen.
Das Erdbebenalarmsystem ist speziell auf die Gegebenheiten und Erfordernisse in NRW zugeschnitten. Bei einem lokalen Erdbeben mit einer Magnitude von mindestens drei auf der Richter-Skala wird das automatische Meldeverfahren des EAS NRW aktiviert. Die zuständigen Landesbehörden werden innerhalb weniger Minuten nach dem Beben mit allen relevanten Informationen per E-Mail versorgt. Das Lagezentrum der NRW-Landesregierung und die Landesleitstelle der Polizei können dann geeignete Hilfsmaßnahmen einleiten und die Bürgerinnen und Bürger informieren. Soweit die Theorie.In der Praxis hat sich nun herausgestellt, dass die niederfrequenten Schwingungen der Windräder über die Fundamente an den Untergrund weitergeleitet werden und zu ungenauen Ergebnissen an den Messstationen führen.
Kleinere Erdbeben werden im Rurtal im Schnitt zwei bis drei Mal pro Woche registriert. Seit dem Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen im Jahr 1980 gab es hier über 2.000 kleinere und auch größere Beben. Das Epizentrum der letzten starken Erdbeben im April 1992 – mit 5,9 auf der Richterskala gemessen – lag bei Roermond an der niederländisch-deutschen Grenze.Allein in NRW wurden bei diesem Beben 30 Menschen verletzt und es kam zu Sachschäden in Höhe von 40 Millionen Euro. Auch im Juli 2002 wackelten die Gebäude in der Region heftig. Das Epizentrum dieses, mit 4,8 auf der Richterskala gemessenen Bebens lag bei Alsdorf. Auch hier gab es Sachschäden. Ähnlich starke Beben wie 1992 und 2002 sind in NRW auch in Zukunft zu erwarten.
Die Niederrheinische Bucht und damit das Rurtal gehört zu den Gebieten mit der höchsten Erdbebengefährdung in Mitteleuropa. Rund um diesen Erdbeben-Hotspot sind Messstationen angesiedelt, die über das EAS jede Bewegung der Erdkruste anzeigen.
Einer der wichtigsten dieser Erdbeben-Messpunkte befindet sich in Großhau, einem kleinen Ort in der Gemeinde Hürtgenwald. Mit den hier erhobenen Daten lassen sich Stärke und Epizentrum eines Bebens exakt zuordnen. Wenn nun der Messpunkt durch die Schwingungsamplitude der ihn umgebenden Windräder in die Irre geführt wird, kann es zu einem Ausfall des Erdbebenalarmsystems kommen. Keine Erdbebenwarnung mehr für niemand!Der neue Windenergieerlass des Landes NRW hat die Bedenken der Geologen zur Kenntnis genommen und schreibt nun eine Beteiligung der Erdbebenexperten an den Genehmigungsverfahren für neue Windräder vor. Im Umkreis von zehn Kilometern um die Erdbebenmessstationen soll es eine Einzelfallprüfung der Windradplanung geben. Die Genehmigungsbehörde muss prüfen, ob der jeweils geplante Windradstandort als so genannte „harte Tabuzone“ einer Errichtung von Windanlagen entgegensteht.
Das ist allerdings nicht im Interesse des neu formulierten Windenergieerlasses. Insofern versucht das Umweltministerium, an dieser Stelle auch ein entsprechendes Hintertürchen für die planende Gemeinde einzubauen.
Die Experten des geologischen Dienstes müssen in ihrem Gutachten zukünftig explizit auf eine Gefährdung ihrer Erdbeben-Messungen durch den Betrieb der Windräder verweisen. Sonst kann sich die Genehmigungsbehörde über die Einwände der Erdbebenforscher hinwegsetzen. Damit entsteht die groteske Situation, dass ein Sachbearbeiter beim Kreis oder in der Bezirksregierung mit seiner Baufreigabe für ein Windrad letztlich darüber entscheidet, ob das Erdbebenwarnsystem in NRW im Ernstfall seine Aufgaben erfüllen kann oder nicht. An dieser Stelle hat die bedingungslose Förderung der Windenergie ihre verantwortbaren Grenzen überschritten.
Weitere Informationen:
Erdbebenalarmsystem:
http://www.gd.nrw.de/gg_eas-meldungen.php
Flyer:
http://www.gd.nrw.de/zip/flyer_erdbeben.pdf
Seismische Überwachung:
http://www.gd.nrw.de/gg_le_seismische-ueberwachung.htm
- 01.05.2020: Juwi stellt Antrag auf zwei weitere Windanlagen im Lammersdorfer Wald
- 13.10.2017: Windenergieerlass in der Kritik: Teil II - Außer Spesen...?
- 22.04.2016: Verwaltungsstreit um das Erdbebenalarmsystem?
- 29.01.2016: StädteRegion riskiert Ausfall des Erdbebenwarnsystems
- 29.01.2016: ZwEifler: Ist Erdbebenvorsorge für die Eifel überflüssig?
Bisher 3 Kommentare
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Danke für diesen hintergründigen Bericht!
Habe ich das richtig verstanden?
Wenn die Geologen im Genehmigungsverfahren nicht laut genug aufschreien, entscheidet demnächst der Bürgermeister einer Anliegergemeinde (10km), die Windräder errichten will, darüber ob das Erdbebenwarnsystem gestört wird oder sogar ausfallen kann? In welcher Bananenrepublik leben wir?
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