Kreise, Kreis Düren: In Bergheim haben am Mittwoch tausende RWE- Mitarbeiter gegen einen vorgezogenen Kohleausstieg protestiert. An diesem Wochenende versammeln sich Kohlegegner in Düren, um für den Erhalt des Hambacher Forsts – „Hambi bleibt“ – zu demonstrieren.
Die umstrittene Entscheidung des Oberverwaltungs-Gerichts (OVG) Münster, die Rodung des Waldstückes vorläufig auszusetzen, hat zu einer Polarisierung der Standpunkte beigetragen. RWE spricht in der Folge von nun ’notwendiger Produktionseinschränkung und Arbeitsplatzabbau‘.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat in einer aktuellen Studie, im Auftrag des Bundesverbandes Braunkohle untersucht, welche Effekte ein beschleunigter Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf die Energiewirtschaft haben könnte. Dabei wurden nicht nur die Energiewirtschaft und die Braunkohle selbst, sondern auch die Konsequenzen für die Reviere analysiert:
„Die Studie zeigt die Folgen des im Klimaschutzplan 2050 festgelegten und im Koalitionsvertrag bestätigten nationalen 2030-Sektorziels für die Energiewirtschaft. Als Vergleichsmaßstab wird dabei die Situation vor Einführung des Sektorziels, also eine reine Fortführung des Emissionshandels ohne zusätzliche Maßnahmen, herangezogen. Dabei werden die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des aus dem Sektorziel 2030 resultierenden beschleunigten Rückgangs der Braunkohleverstromung für die Volkswirtschaft und den Strukturwandel abgeschätzt.
Die Zahlen und Ergebnisse haben es in sich: Ein politisch forcierter, vorzeitiger Kohleausstieg kostet – laut IW – mindestens 100 Milliarden Euro. Dagegen nehmen sich die bis jetzt veranschlagten 1,5 Milliarden Euro der Bundesregierung – als Sofortprogramm – geradezu lächerlich aus.
Im Vergleich mit der, bereits durch den europäischen Emissionshandel mit CO2-Zertifikate vorgegebenen Reduzierung der Stromerzeugung aus Braunkohle, würde ein durch zusätzliche nationale Maßnahmen beschleunigter Rückgang der Kohlenverstromung massive Zusatzkosten verursachen, errechnete das IW in seinem Gutachten. Im Zeitraum von 2020 bis 2040 verursache ein schneller Kohlenausstieg Mehrkosten in Höhe von fast 100 Milliarden Euro. Diese Abschätzung berücksichtigte weder regionale Strukturbrüche, noch Versorgungsengpässe mit Stromausfällen oder Kosten durch verkürzte Laufzeiten von Kraftwerken. Die Konsequenzen für die Arbeitsplätze in der Industrie, die unter steigenden Strompreisen leiden würde, kämen noch hinzu, auch diese entstehenden Folgekosten wurden in der Studie nicht näher betrachtet.
Die Wirtschaftswissenschaftler sehen einen erfolgreichen Strukturwandel in den Braunkohlerevieren durch ein 2030-Sektorziel erheblich gefährdet:
„Das 2030-Sektorziel für die Energiewirtschaft führt zu einem erheblich schnelleren Rückgang der Braunkohleverstromung und einem deutlich vorgezogenen Arbeitsplatzabbau – nicht nur in der Braunkohlewirtschaft, sondern auch in den Vorleistungsbranchen. Die Analyse der Strukturwandelvoraussetzungen in den einzelnen Revieren zeigt, dass kurzfristig keine Strukturen bestehen, die einen durch das Sektorziel-2030 verursachten abrupten Strukturwandel auffangen können. Die bestehenden Strukturen werden weder in Hinblick auf die Beschäftigung noch auf die Wertschöpfung innerhalb der nächsten 10 Jahre einen Beitrag leisten können, der die heutigen Beiträge der Braunkohlewirtschaft ersetzen kann.
Insbesondere im Mitteldeutschen Revier und mehr noch in der Lausitz habe die Braunkohlewirtschaft und damit mittelbar verbundene Branchen hohe Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteile in der Region, ohne dass es nennenswerte Alternativen gäbe. Selbst dort, wo andere Branchen Fachkräftebedarfe anmelden, sind in der Regel andere Qualifikationen gefragt.
In NRW sei zudem der Strukturwandel infolge des Ausstiegs aus dem Steinkohlebergbau noch nicht vollzogen. Hinzu käme dort, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier selbst wesentlich dadurch verschärft zu werden droht, dass die in der Nachbarschaft angesiedelte energieintensive Industrie durch, in der Folge des Kohleausstiegs, steigende Strompreise selbst in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt würden.
Ein beschleunigter Ausstieg aus der Braunkohleverstromung wirke als zusätzliche Belastung eines ohnehin herausfordernden Entwicklungsprozesses in den Revieren. Strukturwandel braucht Zeit. Das zeigen Erfahrungen aus vergleichbaren Prozessen. Blaupausen für einen Strukturwandel, in dem die, durch einen verkürzten Ausstieg, bewirkten zusätzlichen Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzverluste bis 2030 erfolgreich kompensiert werden könnten, liegen nicht vor. Damit drohen bei einem, durch das 2030-Ziel beschleunigten Kohleausstieg Strukturbrüche mit unabsehbaren Konsequenzen für die betroffenen Regionen und die dort arbeitenden und lebenden Menschen.
Gefährdung von 72.000 Arbeitsplätzen: Die Braunkohlewirtschaft habe aufgrund ihrer Vorleistungsintensität eine hohe Bedeutung für den Wirtschaftskreislauf und die Arbeitsplätze, vor allem in den Braunkohleregionen. Unmittelbar in der Braunkohlewirtschaft sind bundesweit fast 21.000 Personen beschäftigt. Berücksichtige man zusätzlich die Arbeitsplätze in den Vorleistungsbranchen und die durch die Konsumausgaben der Beschäftigten induzierten Effekte, resultieren hieraus über 62.000 Beschäftigungsverhältnisse, die direkt und indirekt an der Braunkohlewirtschaft hängen. Diese Zahl erhöht sich auf 72.000 Beschäftigte, wenn die Investitionen, die die Braunkohlewirtschaft tätigt, miteinbezogen werden. Schon bei dem in der Studie angenommenen Minderungspfad läge die Zahl der Beschäftigten allein in der Braunkohlewirtschaft im Szenario mit einem Klimaschutzplan um fast 39.000 niedriger als ohne Sektorziel 2030. So führe ein nationales deutsches 2030-Sektorziel für die Energiewirtschaft bereits bis 2025 zu einer knappen Halbierung der Arbeitsplätze; bis 2030 wären mehr als 2/3 der Arbeitsplätze verloren.
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