Eifel: Still und leise hat die Bundesregierung auf Druck der Windlobby weitere Schritte eingeleitet, um die angeblichen Hindernisse für den flächendeckenden Ausbau der Windenergie auszuräumen: Neben dem Investionsbeschleunigungsgesetz und der Bundeskompensationsverordnung wurde eine Novellierung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG 2021) auf den Weg gebracht. Erklärtes Ziel ist es, Bauvorhaben im Namen des Klimaschutzes von naturschutzrechtlichen Beschränkungen vollständig zu befreien. Sollten alle drei Rechtsnormen in Kraft treten, so wäre dies ein schwerer Schlag gegen den Naturschutz in Deutschland. EIFELON hat dazu Heinz–Rüdiger Hugo von der ArbeitsGemeinschaft-Windenergie Eifel+Börde (AGW) um eine erste Einschätzung gebeten:
Wie bewerten Sie diese neuen Rechtsnormen aus der Sicht des Naturschutzes?
H.-R. Hugo: Bereits auf dem ersten Blick ist erkennbar, dass die Inhalte dieser Rechtsvorlagen hauptsächlich von der absurden Idee getragen werden, dass nur der Ausbau der Erneuerbaren den Klimawandel stoppen kann. So sollen ausschließlich Sonnen- und Windenergie dem Klimaschutz dienen und somit dem Schutz unseres Planeten und letztendlich dem Naturschutz, da die „Erderhitzung“ zum Artensterben beitragen würde.
Dabei hat dieser rein technische Klimaschutz nach Ansicht vieler Wissenschaftler mit dem Naturschutz doch recht wenig, und bei uns in Deutschland so gut wie gar nichts zu tun. Der vielfach diskutierte „Klimaschutz“ ist nur ein Teil eines umfassen Schutzes von Natur, Arten und Ökosystemen. Er ist aber sicher nicht dessen Voraussetzung, wie die Windindustrie in Deutschland gern behauptet.
Die Wissenschaft benennt sehr klar die bedeutsamem Faktoren für die gegenwärtigen großen Umweltprobleme auf unserem Planeten: Es sind die starke Übernutzung der natürlichen Ressourcen, die großflächige Zerstörung von Lebensräumen und Wäldern, die Versiegelung von Flächen durch Bau-, Gewerbe- und Industriegebiete, Straßen und Autobahnen und nicht zuletzt die Landwirtschaft mit ihrer Massentierhaltung und ihrem hemmungslosen Einsatz von Pestiziden zur Ertragssteigerung und -sicherung.
Eifelon: Wie konnte sich dieses nur scheinbar logische Konstrukt, dass die Erneuerbaren Energien dem Klimaschutz dienen, durchsetzen?
H.-R. Hugo: Hierzu gibt es eine mögliche Erklärung: Als im Jahr 2016 bekannt wurde, dass in vier norddeutschen Bundesländern jährlich rund 8.600 Mäusebussarde mit den dort vorhandenen Windenergieanlagen kollidieren, ein Verlust von sieben Prozent des Brutbestandes, präsentierte der Bundesverband Windenergie (BWE) umgehend der breiten Öffentlichkeit die vermeintlich „wahre“ Gleichung: „Windkraft ist Klimaschutz, und Klimaschutz ist Artenschutz“. Im gleichen Atemzug forderten führende Branchenvertreter, diese Tierverluste hinzunehmen, da der Ausbau der Windenergie doch dem Schutz der Atmosphäre diene, ohne den die Artenvielfalt nicht zu retten sei.
Diese scheinbar plausible Argumentationskette hat letztendlich dazu geführt, dass die Stromerzeugung hauptsächlich durch Wind per se als „alternativlos“ in der Politik und in der Bevölkerung angesehen wird. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, dass es der Windkraftbranche gelungen ist, die Diskussion über den „richtigen“ Weg zur Bekämpfung des Klimawandels, mit Unterstützung der Medien, machtvoll zu ihren Gunsten zu lenken.
Nicht nur aus naturschutzfachlicher Sicht handelt es sich hierbei um Parolen und Schlagworte, die sehr stark verallgemeinern und die äußerst komplexe Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit verkleinern. Seriöse Wissenschaftler und Naturschützer halten diese Gleichung „Windkraft = Klimaschutz, und Klimaschutz = Artenschutz“ für fragwürdig und zweifeln sie durchweg an.
Aber: Es ist der Windlobby gelungen, den Komplex Klimawandel durch Kontrolle, Selektion und Kanalisation der Informationen in die Öffentlichkeit so zu transportieren, dass weder die politischen Akteure noch die Bevölkerung einen ungefilterte, sachbezogenen Blickwinkel zum Schlagwort Klimawandel bekommen haben.
Somit sind die in der Bevölkerung bekundeten Sorgen und Ängste über die Folgen des Klimawandels eher ein Ergebnis der selektiven medialen Berichterstattung, in Kombination mit gleichzeitig persönlich wahrgenommenen Wetterveränderungen.
Dass die Diskussion über die Wahl der Klimaschutzmaßnahmen und –instrumente eng mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich insbesondere die volatile Windkraft als angeblicher „Retter“ im Kampf gegen den Klimawandel so durchsetzen konnte. Ohne das kritisch hinterfragt wird, ob dieser rein „technische Klimaschutz“ dies auch tatsächlich auf globaler, nationaler und regionaler Ebene leisten kann, oder durch seinen gigantischen Flächenbedarf gerade das zerstört, was er zu schützen vorgibt.
Eifelon: Wie beurteilen Sie diese Gesetzesvorlagen im Hinblick auf die Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie und dem Abbau von Hindernissen?
H.-R. Hugo: Viele Menschen, die sich dafür einsetzen, dass die Energiewende menschen- und naturverträglich gestaltet wird, werden diese Gesetzesvorlagen als eine Kriegserklärung gegen den Arten- und Naturschutz empfinden müssen. Denn: Zu offensichtlich unterwerfen sich unsere gewählten politischen Vertreterinnen und Vertreter erneut der Suggestion und den wirtschaftlichen Interessen der Windbranche, nach der dem Klimawandel in erster Linie durch Windräder zu begegnen sei.
Wir finden in diesen Entwürfen die Forderung der Windindustrie wieder, den Artenschutz aufzuweichen, weil insbesondere der § 44 des Bundesnaturschutzgesetztes sich aus ihrer Sicht zu einem absoluten Planungs- und Ausbauhindernis entwickelt hat.
Die politischen Entscheidungsträger wollen nun wunschgemäß diese Hürde schnell beseitigen: Im Zweifel für die Windenergie ist das Motto. Hierzu sollen Änderungen, Präzisierungen, Verfahrenserleichterungen und Standardisierungen im Naturschutzrecht zu Beschleunigungen beim Ausbau führen. Dies soll eine einheitliche Auslegung des Naturschutzrechts garantieren, um eine Anwendung im „Einklang“ mit der Windenergie zu gewährleisten.
Um dies abzusichern, soll durch Rechtsverordnungen auf Länderebene festgelegt werden, dass Windkraftprojekte per Definition zur Rettung des Klimas immer einen Ausnahmegrund vom Tötungsverbot darstellen. Dabei soll das artenschutzrechtliche Tötungsverbot auf ein populationsbezogenes Niveau abgesenkt werden. Das heißt, Windräder dürfen Vögel und Fledermäuse töten, solange es die Population der betreffenden Art verkraftet: Sterben für die Energiewende, darauf müssten sich dann Rotmilan, Schwarzstorch und Co. zukünftig deutschlandweit einrichten. Es muss uns allen klar sein, dass hiermit gezielt ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden soll: Windräder vor Naturschutz! Hierdurch wird sich die Genehmigungspraxis der zuständigen Behörden ändern und das „Hindernis“ Naturschutz ist für immer ausgeräumt. Dann heißt es, freie Bahn für die Windräder im deutschen Energiewunderland! Nicht zuletzt soll auch an unserem Rechtsstaat gerüttelt werden: So soll der Instanzenweg bei Gericht verkürzt werden und Klagen nur noch vor den Oberverwaltungsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht möglich sein. Zusätzlich soll die aufschiebende Wirkung von Klagen und Widersprüchen gegen Genehmigungen von Windanlagen eingeschränkt werden. Und mit der Bundeskompensationsverordnung sollen zukünftig u.a. Ersatzzahlungen, die z.B. für die mit Windrädern verbundenen Schäden am Landschaftsbild zu entrichten sind, drastisch reduziert werden.
Eifelon: Erleben wir unter dem Deckmantel des „Klimaschutzes“ zurzeit einen Frontalangriff auf den Naturschutz?
H.-R. Hugo: Bereits heute werden durch den zügellosen Ausbau der Windkraft unsere Natur- und Kulturlandschaften, Wälder und ökologisch wertvolle Lebensräume zerstört. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt auf, dass vor allem Greifvögel und Fledermäuse, aber auch Insekten in erheblichem Maße durch Windenergieanlagen getötet werden. Besonders hoch sind die Verluste, wenn Windräder im Wald gebaut werden. Es ist deshalb wenig zielführend, den Naturschutz durch Änderungen der gesetzlichen Grundlagen aufzuweichen. Denn: Werden die Belange des Naturschutzes hier insbesondere dem flächendeckenden Ausbau der Windkraft, aber auch der Freiflächenphotovoltaik sowie dem Anbau von Energiepflanzen geopfert, besteht die Gefahr des dauerhaften Verlustes von Biodiversität.
Insofern können wir die Haltung einiger Umweltorganisationen wie WWF, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, BUND und NABU nicht nachvollziehen, die Forderungen der Windindustrie nach Lockerung des Naturschutzes zu unterstützen. Andere Umweltverbände, wie die Naturschutzinitiative (NI) und die Deutsche Wildtierstiftung sowie der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz (VLAB) haben sich den Forderungen nicht angeschlossen. Sie kämpfen auch weiterhin für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Eifelon: Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt Erkenntnisse, die eine Aufweichung des Arten- und Naturschutzes rechtfertigen?
H.-R. Hugo: Klare Antwort, nein!
Eifelon: Könnten Sie uns dies an einem Beispiel erläutern?
H.-R. Hugo: Nehmen wir aus unserer Region, der Eifel, das Beispiel des Windparks Dahlem IV. Nach Ansicht der Betreiberfirma Dunoair lahmt hier seit Jahren der Ausbau der Windkraft. Der überzogene Naturschutz soll dafür verantwortlich sein. Im konkreten Fall hat der Betreiber, gegen die, durch das Verwaltungsgericht Aachen erneut gestoppten Windindustrieanlagen im Wald, beim Oberverwaltungsgericht erfolglos Beschwerde eingereicht. Streitobjekt ist jetzt nicht wie in dem vorangegangenen Gerichtsverfahren der Schwarzstorch, sondern der Rotmilan.
Weil dieser Greifvogel nach dem deutschen und europäischen Recht streng geschützt ist, folgen deutsche Verwaltungsgerichte in Streitfällen oft den Richtlinien der Vogelschutzwarten der Länder und genehmigen den Bau von Windrädern nur dann, wenn sie weiter als 1.500 Meter vom nächstgelegenen Rotmilanhorst entfernt sind. Denn dies ist geboten, da diese Vogelart in der Schlagopferdatei hinter dem Mäusebussard ganz weit oben rangiert.
Dass ausgerechnet dem Rotmilan vom Bundesumweltministerium im letzten Jahr ein langfristig stabiler Bestand bescheinigt wurde, war dann eine Steilvorlage für die Windbranche. Diese Zahlen, so der Bundesverband der Windenergie, seien ein gutes Signal. Weil damit deutlich würde, dass sich der Bestand unabhängig vom Ausbau der Windkraft entwickle.
Dieser Interpretation widersprach ausgerechnet der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) vehement, auf dessen Daten sich das Ministerium und die Windkraftindustrie bezogen hatten. Das Ergebnis ihrer Analyse zu den Auswirkungen der Windkraft auf das zahlenmäßige Vorkommen des Rotmilans kann man vereinfacht wie folgt zusammenfassen: Je mehr Windräder, desto schlechter die Bestandsentwicklung. Dass die Zahl der Rotmilane noch stabil sei, liege einzig daran, dass diese Greifvögel in Gebieten mit keinen oder wenig Windanlagen leicht zunähmen. Hierdurch würden die Verluste in den Regionen mit hoher Windraddichte ausgeglichen, so das Fazit der wissenschaftlichen Untersuchung. Mit diesem Ergebnis lässt sich die angestrebte Lockerung des Naturschutzes zur Schaffung neuer Flächen für den Ausbau der Windkraft auf keinen Fall rechtfertigen.
An diesem konkreten Fallbeispiel wird wieder einmal deutlich, dass die Windlobby sich nicht scheut, die vorliegenden Daten in ihrem Sinn äußerst stark zu verbiegen. Dies ist absolut unseriös und führt letztendlich auch noch zu nicht haltbaren Schlussfolgerungen, wie die vorliegenden Gesetzesentwürfe zeigen. Die beabsichtigten rechtlichen Änderungen zu Gunsten der Windindustrie sind aus rechtstaatlicher und naturschutzfachlicher Sicht höchst bedenklich, zumal in den vergangenen Jahren immer wieder Aufweichungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) durch die Einführung von immer neuen und äußerst fragwürdigen Ausnahmeregelungen zum Tötungsverbot von Arten durch Windkraftanlagen erfolgt sind.
Mehr zum Thema auf der Webseite der AGW , hier.
Investitions-Beschleunigungs-Gesetz: Der Berliner Weg in die Ökodiktatur?
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